Publikation Geschichte - Parteien- / Bewegungsgeschichte Zur Geschichte der USPD

Aus Anlass des 100. Jahrestages ihrer Gründung 1917 in Gotha

Information

Reihe

Online-Publ.

Autor

Mario Hesselbarth,

Erschienen

März 2017

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Vom 6. bis 8. April 1917 gründeten in Gotha jene Frauen und Männer, die gegen die Burgfriedenspolitik ihrer Sozialdemokratie (SPD) während des Ersten Weltkriegs opponierten, die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD). 

Über die tieferen Ursachen der damit verbundenen Spaltung der deutschen Arbeiterbewegung gingen und gehen die Positionen auseinander. Sowohl marxistisch-leninistische als auch der Sozialdemokratie nahestehende Historikerinnen und Historiker sahen in den drei innerparteilichen Grundströmungen, die vor dem Ersten Weltkrieg entstanden waren, den eigentlichen Spaltungsgrund. Der auf Eduard Bernstein zurückgehende Revisionismus hatte Anfang des 20. Jahrhunderts dafür plädiert, die revolutionäre, auf die Eroberung der politischen Macht orientierte Theorie der Sozialdemokratie zu ersetzen. Die SPD solle sich zu dem bekennen, was sie infolge ihrer politischen Praxis geworden sei, eine demokratisch-sozialistische Reformpartei. Bernstein scheiterte damit jedoch an der großen Parteimehrheit, auf die sich das marxistische Zentrum um den Parteivorsitzenden August Bebel und den maßgebenden Parteitheoretiker Karl Kautsky stützte. Sie verstanden die SPD nach dem viel zitierten Wort Kautskys als eine revolutionäre, die Revolution jedoch nicht machende Partei. Dass die Arbeiterbewegung letztlich die Revolutionen jedoch selbst machen und sich deshalb auf sie politisch vorbereiten müsse, davon war Rosa Luxemburg, die Wortführerin der im Marx’schen Sinne radikalen Linken überzeugt. Die unterschiedlichen Sichtweisen auf die Rolle der Arbeiterbewegung vor der Revolution unterschied radikale Linke und marxistisches Zentrum in den Massenstreikdebatten der Jahre 1905 bis 1913.

Andere Auffassungen über die Ursachen der Spaltung der deutschen Arbeiterbewegung im Ersten Weltkrieg machen hingegen die «Politik des 4. August», die bedingungslose Ein- und Unterordnung der Führungen von SPD und Gewerkschaften in die nationale Kriegsfront des Deutschen Kaiserreichs, für die Trennung verantwortlich. Festzuhalten ist, noch bevor sich die innerparteiliche Opposition gegen diese Burgfriedenspolitik der Parteiführung überhaupt formiert hatte, waren deren Befürworter fest entschlossen, sie aus der Partei hinauszudrängen. Sie wollten die Arbeiterbewegung in die bürgerliche Gesellschaft des Deutschen Kaiserreichs integrieren, dafür musste die Sozialdemokratie ihre bisherige grundsätzliche Oppositionshaltung gegenüber dem preußisch-deutschen Obrigkeitsstaat, der bürgerlichen Gesellschaft und dem kapitalistischen Wirtschaftssystem jedoch aufgeben. Die hieraus resultierenden innerparteilichen Spannungen und Konflikte führten in der Konsequenz zur Spaltung der SPD im Ersten Weltkrieg. Insofern bildete die Zustimmung der SPD-Reichstagsfraktion zu den Kriegskrediten am 4. August 1914 für die Entstehung der USPD einen entscheidenden Ausgangspunkt.

Mit der Unabhängigen Sozialdemokratie entstand im April 1917 eine Partei, die das gesamte politische Spektrum der Vorkriegs-SPD umfasste. Ihr gehörte der Theoretiker des Revisionismus Eduard Bernstein ebenso an wie Karl Kautsky, der führende Kopf des marxistischen Zentrums. Der pazifistische Positionen vertretende Hugo Haase war bis zu seinem Tod Ende 1919 infolge eines Attentats der weitgehend anerkannte Vorsitzende der USPD. Die radikale Linke um Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, die bereits Anfang 1916 die Spartakusgruppe gebildet hatte, trat ihr unter Aufrechterhaltung ihrer politischen und publizistischen Unabhängigkeit ebenfalls bei. Sie verließ die USPD jedoch schon zum Jahreswechsel 1918/19 und konstituierte sich als Kommunistische Partei Deutschlands (KPD).

Im weiteren Verlauf der Entwicklung gewannen aber auch neue Gruppierungen Einfluss auf die Politik der USPD: die «Revolutionären Obleute» der Berliner Großbetriebe um Ernst Däumig und Richard Müller sowie nach der Novemberrevolution 1918 die Akteure der Rätebewegung, repräsentiert durch Curt Geyer, Walter Stoecker und Wilhelm Koenen, vor allem jedoch die Masse der sich radikalisierenden Arbeiterschaft. Ihr Drang nach aktiver Veränderung der gegebenen Verhältnisse stärkte nicht nur den linken USPD-Flügel, er radikalisierte die USPD insgesamt und verschob sie nach links. Möglich war diese Einflussnahme nicht zuletzt durch die basisdemokratischen Strukturen und die innerparteiliche Demokratie, die jedem Mitglied Mitsprache bei und Mitgestaltung der unabhängigen sozialdemokratischen Politik ermöglichen sollten.

Diese Vielfalt wird oft als Heterogenität und Ursache der Spaltung der USPD im Oktober 1920 interpretiert, die ihr schnelles Ende einleitete. Die Existenz eines sozialdemokratischen und eines kommunistischen Flügels in einer Organisation sei auf Dauer nicht möglich gewesen, argumentieren jene, die sich in der jeweiligen Tradition der gespalteten Arbeiterbewegung der Weimarer Republik verorten. Dem steht die jedoch nur selten beachtete Sicht gegenüber, die in der USPD weniger eine Partei im herkömmlichen Sinn, sondern vielmehr den politischen und organisatorischen Ausdruck der Massenbewegungen der revolutionären deutschen Arbeiterschaft der Jahre 1917 bis 1920 sieht.1 Aus dieser Perspektive entstand die USPD als Ergebnis der sozialen und politischen Protestbewegung gegen den Ersten Weltkrieg. Sie bildete die Rätebewegung in ihrer ganzen Vielfalt programmatisch ab und stellte die politische Führung der Generalstreikbewegungen der Jahre 1919/20 dar. Hierin lagen gleichermaßen Stärke und Schwäche der USPD. Ihrem großen politischen Einfluss in den unmittelbaren Massenaktionen stand das Unvermögen gegenüber, als Partei gemeinsame Strategien und eine Politik zu entwickeln, die gleichermaßen radikale und realisierbare Zielstellungen beinhaltete. Insofern war es nahezu folgerichtig, dass das Ende der Massenbewegungen der revolutionären Arbeiterschaft im Frühjahr 1920 die Spaltung der USPD und ihr Ende nach sich zogen.
 

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Mario Hesselbarth ist Historiker, Mitglied des Gesprächskreises Geschichte der Rosa-Luxemburg-Stiftung und arbeitet ehrenamtlich für die Rosa-Luxemburg-Stiftung Thüringen. Er ist Mitherausgeber des Bandes «Gelebte Idee – Sozialisten in Thüringen – Biographische Skizzen» (2006).