9. November 2018 Tagung/Konferenz Klasse neu denken

Arbeitstagung zur neuen Klassenanalyse und -politik

Information

Veranstaltungsort

Friedrich-Schiller-Universität
Rosensäle
Fürstengraben 27
07743 Jena

Zeit

09.11.2018, 13:00 - 10.11.2018, 17:00 Uhr

Themenbereiche

Arbeit / Gewerkschaften, Gesellschaftstheorie, Kapitalismusanalyse

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Warum und wie über «Klasse» reden? Viele Jahre kaum beachtet sind «Klassen» und «Klassenpolitik» als Begriffe mit Wucht in den öffentlichen Diskurs zurückgekehrt. Dabei fällt auf: Vieles was im Gefolge der 1968er-Bewegung wissenschaftlich wie politisch an klassenanalytischem Erkenntnisfortschritt erreicht worden war, ist heute in Vergessenheit geraten oder gänzlich verloren gegangen. Deshalb wird die aktuelle Klassendiskussion heute aus wissenschaftlicher Perspektive oftmals oberflächlich und mitunter in geradezu vulgärer Weise geführt. Die Sozialwissenschaften verfügen derzeit über keinen Begriff zum Verständnis der Klassengesellschaften des 21. Jahrhunderts. Damit reproduzieren und verdoppeln sie in ihren Gesellschaftsdeutungen lediglich, was sich real ohnehin abspielt.

Einerseits nehmen sowohl vertikale als auch horizontale, klassenspezifische Ungleichheiten in nahezu allen Gesellschaften des globalen Nordens wie des Südens zu, andererseits sind um den Gegensatz von Kapital und Arbeit gebaute politische und gewerkschaftliche Organisationen so schwach, wie es nach 1949 wohl noch nie der Fall gewesen ist. In diese Lücke stoßen rechte, radikalpopulistische Strömungen, denen es in vielen Ländern gelungen ist, Teile der Lohnabhängigen für sich zu interessieren und «Solidarität» an völkische Zugehörigkeit zu koppeln. Solidarität ist geschwächt, wird exklusiv. Was sind die Ursachen? Können diese Teile der Klasse zurückgewonnen werden?

Klassenbewusstsein und Gesellschaftsbilder sind Gegenstand fortwährender politischer Bearbeitung. Entlang von Differenzen und unterschiedlicher Interessen von spezifischen Interessen einzelner Gruppen kommt es zu Gegensätzen und Fraktionierungen innerhalb der ökonomischen Klasse der Lohnarbeiter_innen. Politisch verfestigt werden solche Unterschiede durch aktuelle Debatten, die um einen solchen - vermeintlichen - Gegensatz zwischen «Identitätspolitiken» und «Klassenpolitiken» kreisen, statt geschlechtliche Ungleichheit und Rassismus, die Krise der Reproduktion und die ökologische Krise als integrale Momente der sozialen Frage, als «Klassenfragen» zu lesen und zu formulieren. Klasse muss unter veränderten Bedingungen wieder gedacht werden.

Aber wie bunt ist «die Klasse» heute? Wer steht für sie: der Kohlekumpel in der Lausitz, der von Digitalisierung bedrohte Industriearbeiter, der DHL-Bote am Ende einer informatisierten Logistikkette, oder doch die Krankenschwester in den modernen Krankenhauskonzernen, die Informatik-Ingenieure, die mit Technik die Welt zu einem besseren Ort machen wollen? Die Klasse ist in permanenter Veränderung, immer schon. Alte Milieus sind in Auflösung, neue entstehen, scheinbar aber fragmentierter, pluraler, weiblicher, migrantischer und prekär. Und nicht zuletzt spielen sich zahlreiche Klassenkämpfe nicht nur in der Produktion, sondern auch im Bereich der Produktion ab, um soziale Infrastrukturen, Pflege und Sorgearbeit, geschlechtliche Arbeitsteilung, Wohnen, lebenswerte Umwelten und Stadträume etc. Die Einzelnen haben vielfältige Interessen. Entsprechend vielfältiger werden auch die Kämpfe. Die Klassenzusammensetzungen, Berufe und damit verbindende Subjektivitäten verändern sich auch durch transnationale Produktionsstrukturen und neue Produktivkräfte, jüngstes Stichwort: die Digitalisierung. Eine neue Klassenanalyse ist nötig.

«Klassenerfahrungen» wieder zum Gegenstand einer widerspruchsorientierten Analyse zu machen, kann Anknüpfungspunkte für solidarische Praxen begründen. Wie lassen sich  die verschiedenen Teile der Klasse verbinden, lässt sich  ein «verbindender Antagonismus» formulieren? Und wie kann eine neue Klassenanalyse die zentral gewordene Strategie einer «verbindenden Klassenpolitik» empirisch und theoretisch begleiten?

Diesen Fragen geht die gemeinsame Arbeitstagung des Instituts für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung und des Instituts für Soziologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena nach. Zukünftig sollen einmal im Jahr neue klassenanalystische Arbeiten vorgestellt und Fragen diskutiert werden.

Vorläufiges Programm:

Freitag, 9.11.:

13 Uhr: Auftakt: Klassenanalyse und -politik. Forschungs- und polit-strategische Überlegungen
Klaus Dörre und «Projekt Klassenanalyse Jena» (Universität Jena): Thesen der Jenaer Gruppe
Mario Candeias (Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung): Die Aufgaben der neuen, verbindenden Klassenpolitik

13:45 Uhr: Pause

14 Uhr: Veränderungen der Klassenzusammensetzung 
Hans-Günter Thien (Dampfboot Verlag), Blick in die Geschichte und Aktualität der Klassenanalyse 
Nicole Mayer-Ahuja (SoFI Göttingen), Neuzusammensetzung und Vielfalt der Klasse – ein Blick in die Empirie
Moderation: John Lütten (Universität Jena)

16 Uhr: Pause

16:30 Uhr: Parallele Workshops:

  1. Klassenbewusstsein und Gesellschaftsbilder
    John Lütten (Universität Jena)
    Ursula Stöger (Universität Augsburg)
    Thomas Goes (SOFI Göttingen)
    Moderation: Kim Lucht (Universität Jena)
  2. Produktivkraftentwicklung und internationale Neuzusammensetzung der Klasse
    Stefan Schmalz (Universität Jena)
    Horst Kahrs (Institut für Gesellschaftsanalyse der RLS)
    Moderation: Sebastian Sevignani (Universität Jena)
  3. Migrantisch, weiblich, prekär – Neue Konfliktlinien in und um die Klasse
    Peter Birke (SOFI Göttingen)
    Tine Haubner (Universität Jena)
    Moderation: Kerstin Wolter (GK Feminismus der RLS/DIE LINKE) 

18:30 Uhr: Pause

19:30 Uhr: Klasse, Klassenfraktionen und Milieus - ein produktives Verhältnis?
Mike Vester (Universität Hannover)
Ulf Kadritzke (Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin)
Kurzkommentar PKJ (Universität Jena)
Moderation: Horst Kahrs (Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung)
 

Samstag, 10.11.:

10 Uhr: Parallele Workshops:

  1. Die radikale Rechte und ihr Verhältnis «zur Klasse»
    Katrin Reimer (Hochschule Stendal)
    Christina Kaindl (DIE LINKE)
    Thomas Wagner (Kultursoziologe und Autor)
    Moderation: Andrea Blättler (Universität Frankfurt/M)
  2. Klassen- und Naturverhältnisse
    Markus Wissen (Hochschule für Wirtschaft und Recht, wissenschaftlicher Beirat der Rosa-Luxemburg-Stiftung)
    Richard York (Universität Oregon, Mitherausgeber des Journals Organization & Environment)
    Kommentar: Hans Rackwitz (Universität Jena/PKJ)
    Moderation: Jakob Graf (Universität Jena)

12 Uhr: Pause

13 Uhr: «Warum und wie über Klassenpolitik reden?»
Vortrag von und Gespräch mit Bernd Riexinger (DIE LINKE)
(Aktuelles Buch von Bernd Riexinger: «Neue Klassenpolitik», VSA, Hamburg)
Kommentar von Nicole Mayer-Ahuja
Moderation: Klaus Dörre (Universität Jena)15 Uhr: Pause

15:30 Uhr: Abschluss: «Klasse wird gemacht!»
Hans-Jürgen Urban (IG Metall), Christine Bauhardt (HU Berlin), Serhat Karakayali (HU Berlin)
Moderation: Christoph Lieber (Zeitschrift Sozialismus)


Anmeldungen: klassentagung@uni-jena.de
Bitte geben Sie eine Präferenz für die Workshops an.

Standort

Kontakt

Dr. Mario Candeias

Referent für sozialistische Transformationsforschung, linke Strategien und Parteien, Rosa-Luxemburg-Stiftung

Telefon: +49 30 44310179