Dokumentation Antonio Gramsci – eine Einführung

Bericht zum Vortrag mit Professor Frank Deppe in der Reihe „Marx am Montag“ am 30. September 2019 an der Universität Erfurt.

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Zeit

30.09.2019

Bericht zum Vortrag mit Professor Frank Deppe in der Reihe „Marx am Montag“ am 30. September 2019 an der Universität Erfurt.

Obwohl Antonio Gramsci (1891 – 1937) vereinzelt und am Rande auch heute noch Thema an den Hochschulen ist, so kennen doch viele Studierende den politischen Theoretiker, Journalisten und Mitbegründer der Kommunistischen Partei Italiens nicht. Um einen Einblick in sein theoretisches Werk, sein Leben und seine politische Arbeit zu bekommen, hatten die „Rosa-Luxemburg-Stiftung Thüringen“ und die Erfurter Hochschulgruppe der „Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft“ (GEW) den Politikwissenschaftler Professor Dr. Frank Deppe von der Universität Marburg am 30. September 2019 zu einem Vortrag an die Universität Erfurt eingeladen.

Zur Person

Antonio Gramsci kam aus einer armen Familie im ländlichen Sardinien. Durch seinen Bruder kam bereits während der Schulzeit in Kontakt mit sozialistischen Ideen. Als guter Schüler erhielt er später ein Stipendium für ein Studium an der Fakultät für Literaturwissenschaften in Turin. Schon während der Schulzeit schrieb er Artikel für eine Lokalzeitung, in Turin wurde er 1914 Mitglied des „Partito Socialista Italiano“, arbeitete für linke Zeitungen, wurde Herausgeber des Blattes „L’Ordine Nuovo“, stand in den „zwei roten Jahren“ auf der Seite der Turiner Rätebewegung und wurde 1921 Mitbegründer der „Kommunistischen Partei Italiens“. 1922 gingt Gramsci nach Moskau, während in Italien die Faschisten, angeführt von Benito Mussolini, erstarkten und die übernahmen. In Moskau lernte Gramsci seine spätere Frau und Mutter von zwei gemeinsamen Kindern, Julia Schucht, kennen. Nach seiner Rückkehr aus Moskau wurde Gramsci 1926 verhaftet, 1928 verurteilt und für Jahre eingesperrt, obwohl er zu der Zeit gewähltes Mitglied des italienischen Parlaments war.

„Gefängnishefte“

In der Haft entstand das von der Form her unorthodoxe, zentrale Werk Gramscis, die „Gefängnishefte“ (Die deutsche Gesamtausgabe in 10 Bänden ist im Argument Verlag, Hamburg, erschienen). Deppe sagt dazu: „Das Werk ist ein Steinbruch […], ein Gegenteil zum herkömmlichen kommunistischen Dogmatismus“. Es setze sich aus unzähligen Fragmenten zusammen, die Gramsci in 32 Heften handschriftlich notiert hatte. Darin geht es um so unterschiedliche Fragen wie Philosophie, italienische Geschichte, Kultur, die Rolle von Intellektuellen, die Politik Machiavellis, Religion, populäre Literatur oder moderne Produktionsweisen („Fordismus“). Doch die Frage, die Gramsci am meisten umtrieb sei, so sagte Deppe, die Frage, des Scheiterns. Also: Warum siegte der Faschismus, während die sozialistischen und kommunistischen Bewegungen verloren? Diese Frage stand natürlich auch im Zusammenhang mit seiner eigenen Situation, der Inhaftierung im faschistischen Gefängnis. Doch zentral war für ihn die Frage, warum die Revolutionen 1917 im „rückständigen“ Russland gelangen, während die Revolution im kapitalistischen Europa trotz starker Gewerkschaften und einer starken Sozialdemokratie ausblieb – und später sogar der Faschismus an die Macht gelangen konnte. Deppe zitierte zum Verständnis eine zentrale Passage aus Gramscis „Gefängnisheften“: „Im Osten war der Staat alles, die Zivilgesellschaft war in ihren Anfängen und gallertenhaft; im Westen bestand zwischen Staat und Zivilgesellschaft ein richtiges Verhältnis, und beim Wanken des Staates gewahrte man sogleich eine robuste Struktur der Zivilgesellschaft. Der Staat war nur ein vorgeschobener Schützengraben, hinter welchem sich eine robuste Kette von Festungen und Kasematten befand, von Staat zu Staat mehr oder weniger, versteht sich, aber gerade dies verlangte eine genaue Erkundung nationaler Art“.

„Hegemonie“

Der wohl bekannteste Begriff aus Gramscis Werk ist der Begriff der „Hegemonie“. Deppe erklärte, Gramsci habe als einer der ersten intellektuellen Kommunisten erkannt, dass die Durchsetzung und Stabilität staatlicher Herrschaft facettenreich sei und nicht immer vorrangig der Unterdrückung bedürfte. Vielmehr beruhe stabile Herrschaft immer auch darauf, dass eine relevante Mehrheit der Bevölkerung mit dem herrschenden System und der herrschenden Ideologie einverstanden sei – darüber „Konsens“ erzielt werde. Gramsci erkannte also, dass es für eine sozialistische Revolution in entwickelten kapitalistischen Gesellschaften nicht nur darum gehe, die bestehende Herrschaft zu stürzen und an die Schalthebel der Macht zu gelangen, sondern es brauche auch starke Stützen in der „società civile“, der Zivilgesellschaft. Die Frage gesellschaftlicher Hegemonie bedeute vor allem, dass es bevor die Herrschaft im Staat übernommen werden könne auch Vorherrschaft in der Zivilgesellschaft geben müsse, die den Staat und die Gesellschaft trägt. Gramsci befasste sich zudem mit Fragen einer „Passiven Revolution“, setzte sich mit der Klassengesellschaft sowie mit Kultur, Theater und Medien und der Rolle der Partei in der Zivilgesellschaft und des Staates auseinander.

„Neue Rechte“

In der an Deppes Vortrag anschließenden Diskussion wurde unter anderem angemerkt, dass sich seit den 1970er Jahren ausgerechnet die „Neue Rechte“ auf Gramsci gestürzt und diesen instrumentalisiert habe. Deppe fand darauf eine klare Antwort: Die „Neue Rechte“ nutze zwar den Begriff der Hegemonie für sich und versuche durch die Besetzung von Themen in der Öffentlichkeit von rechts einen „Kulturkampf“ zu führen und so gesellschaftliche Vorherrschaft zu erlangen. Doch ein solches Verständnis von Gramscis Theorie mache keinen Sinn, da der Begriff der Hegemonie nicht ohne die Konzepte der „Passiven Revolution“ und einer Analyse der kapitalistischen Klassengesellschaft auskomme. Doch genau das tue die Rechten nicht, sie bleibe reaktionär. Sie entkleide Gramsci seiner materialistischen Analyse von Ökonomie, Staat und Gesellschaft.

„Zeit der Monster“

Anhand von Gramscis Hegemoniebegriff wagte Frank Deppe zum Abschluss seines Vortrags die These, dass die bisher vorherrschende und stabile hegemoniale Ideologie des Neoliberalismus auseinanderbreche, ohne dass bisher eine neue Ordnung erkennbar sei. Gramsci beschreibe solche Übergangsphasen in seinem Werk detailliert: „Die alte Welt liegt im Sterben, die neue ist noch nicht geboren: Es ist die Zeit der Monster.“ Die aktuelle Weltlage scheint zu bestätigen, dass wir uns in einer Übergangsphase befinden, in der die Polarisierung zwischen demokratischen, sozial-ökologischen und menschenrechtlichen politischen Antworten auf die Krise einerseits, und faschistischen, menschenverachtenden Antworten auf der anderen Seite zunimmt. Die gesellschaftliche Linke wird sich daher gut überlegen müssen, wie und mit wem sie diesen Kulturkampf in den nächsten Jahren führen wird. Vor allem gilt es sich auf politische Konzepte zu einigen und der gesellschaftlichen Linken eine gemeinsame Vision zu verpassen. Eine sozialistische Antwort wird nicht von alleine entstehen -  es gilt dafür zu kämpfen, nicht nur gegen die bestehenden Verhältnisse, sondern auch noch fataleren Ideen von ganz weit Rechtsaußen. (Julian Degen)

Weiterführende Informationen:

Gramsci-Lesekreis: Beginn des Lesekreises zu Antonio Gramsci ist am 29. Oktober 2019 um 19 Uhr im Regionalbüro der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Futterstraße 20, Erfurt.

Nächster Vortrag der Reihe „Marx am Montag“: Eine Einführung in den (Post-)Operaismus, eine theoretische Strömung des Marxismus und auf Arbeitskämpfe orientierte Bewegung, gibt es am 25. November 2019 um 19 Uhr an der Universität Erfurt (Raum wird noch bekannt gegeben).

Literaturempfehlungen aus dem Vortrag von Professor Frank Deppe:

Perry Anderson : The H-Word – The Peripeteia of Hegemony, Verso, 2017, London. Deutsche Ausgabe: Hegemonie: Konjunkturen eines Begriffs, Suhrkamp, 2018, Berlin.

Giuseppe Fiori: Das Leben des Antonio Gramsci: Eine Biografie, Rotbuch Verlag, 2014, Berlin.

Frank Deppe: Politisches Denken im 20. Jahrhundert (Band 2), VSA Verlag, 2016 Hamburg.