Dokumentation Gefährdete Demokratie

Diskussion für eine offene, progressive und plurale Gesellschaft

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17.10.2019

Fast überall in Europa wird die radikale Rechte stärker. Rassistische und antisemitische Gewalt nehmen zu. Über die Ursachen und Quellen des Aufstiegs der radikalen Rechten und mögliche gesellschaftliche Gegenstrategien diskutierten am 17. Oktober 2019 in Jena Wissenschaftler*innen, Gewerkschafter*innen, Studierende und Aktive aus Bündnissen gegen Rechts. Dass die Bedrohung von rechts tödlich ist, das zeigte erst jüngst erneut der erschütternde Anschlag in Halle/Saale am 9. Oktober 2019.

Im Rahmen der bundesweiten Veranstaltungsreihe „Gesellschafts-Visionen“ von acht Studienwerken waren auf Einladung der Rosa-Luxemburg-Stiftung die Soziologin Dr. Stefanie Graefe von der Universität Jena, der Direktor des „Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft“ Dr. Matthias Quent und der Chef des Thüringer DGB Sandro Witt ins Jenaer „Volksbad“ gekommen, um mit Input-Vorträgen ins Thema einzuführen und schließlich mit dem Publikum zu diskutieren. Die Leitfrage des Abends: Wie kann es gelingen, Demokratie und eine offene, plurale Gesellschaft zu stärken und was können Strategien gegen Rassismus, Rechtspopulismus und Neofaschismus sein?

Graefe warf in ihrem Vortrag einen Blick auf soziale und ökonomische Ursachen für das Erstarken des Rechtspopulismus und verwies darauf, dass trotz der Zusammenhänge von sozialer Unsicherheit, neoliberaler Deregulierung und den realen Erfahrungen von Abwertung die Wahl der AfD nicht als sozialer Protest, sondern als Ausdruck von Rassismus gewertet werden müsse. Zudem kritisierte sie theoretische Schwächen bei der zuletzt viel diskutierten, die gesellschaftlichen Komplexitäten vereinfachenden Gegenüberstellung von „Identitätspolitik“ und „Klassenpolitik“. Graefe wies in diesem Zusammenhang auf den Aufsatz „Rückkehr des Hauptwiderspruchs? Anmerkungen zur aktuellen Debatte um den Erfolg der Neuen Rechten und das Versagen der ´Identitätspolitik´“ von ihr gemeinsam mit Emma Dowling und Silke van Dyk hin (https://www.linksnet.de/sites/default/files/pdf/Prokla188%20-%20dowling-van-dyk-graefe.pdf), in dem diese Debatte kritisch beleuchtet wird. In der anschließenden Diskussion sagte sie, es seien künftig bei weiteren politischen Erfolgen des Rechtspopulismus vermehrte Angriffe auf kritische Sozialwissenschaften zu erwarten – im Bereich der Gender-Forschung habe die AfD das bereits versucht. Die aktuelle Polarisierung der Gesellschaft, die auch die Wissenschaft betreffe, müsse auch als Chance begriffen werden, denn demokratische und progressive Kräfte seien nun in Reaktion auf die Rechte gezwungen, sich wieder deutlich zu Wort melden.

Matthias Quent hob in seinem Statement zu den aktuellen Erscheinungsformen des Rechtsrucks in Politik und Gesellschaft hervor, dass die Gesellschaft trotz des Erstarkens der Rechten in Gänze nicht nach rechts gerückt sei, sondern liberale Werte heute weiter verbreitet seien denn je. In seinem aktuellen Buch „Deutschland rechtsaußen. Wie die Rechten nach der Macht greifen und wie wir sie stoppen können“ (Piper Verlag, 2019) skizziert er detailliert die Landnahme der Rechten und den Griff nach der Macht. Er forderte politische und gesellschaftliche Akteure auf, sich aktiv in den Streit für mehr Demokratie und gegen rechts - und eben auch die angegriffenen liberalen Werte der Moderne – einzusetzen. Politische Bildung sei dabei ein wichtiger Aspekt. Quent plädierte ausdrücklich für eine genaue Begriffsverwendung zur Beschreibung der Rechten. Mit Blick auf die AfD sei inzwischen nicht mehr von Rechtspopulismus zu sprechen; in der Partei hätten rechtsextreme und völkische Positionen die Mehrheit - gerade auch in Thüringen unter dem Landesvorsitzenden der AfD Björn Höcke. Falsch sei es aber, hier pauschal den Begriff des Neonazismus zu nutzen. In der politischen Debatte seien zwar Überspitzungen üblich, doch für eine analytische Auseinandersetzung sei Genauigkeit nötig.

Sandro Witt, stellvertretender Vorsitzender des DGB Hessen/Thüringen und Vorsitzender der „Mobilen Beratung für Demokratie – gegen Rechtsextremismus in Thüringen“ (Mobit) betonte in seinem Vortrag, dass eine wichtige Herausforderungen für die Gewerkschaften in den aktuellen politischen Auseinandersetzungen sei, bestehende und gute Beschlüsse gegen Rassismus und gegen Rechts von Gewerkschaftstagen auch in den betrieblichen und gewerkschaftlichen Alltag zu übertragen und dort umzusetzen. Die Versuche von Rechten im Jahr 2018, organisiert in den Betrieben und bei Betriebsratswahlen Fuß zu fassen, seien im Großen und Ganzen gescheitert. Dennoch sei es weiterhin notwendig, solche Bemühungen von Pseudogewerkschaften oder Kandidaturen von Rechten auf Tarnlisten zu Betriebs- und Personalratswahlen im Auge zu behalten und zu bekämpfen. Ihm sei es wichtig, mit den Mitgliedern der Gewerkschaften Solidarität zu organisieren, klare Haltung zu zeigen und auch politische Bildung in den eigenen Strukturen wieder zu stärken.

Der Abend mit bedrückenden Analysen und ermutigenden Ansätzen ließ sich am Ende vielleicht mit einem Zitat des italienischen Theoretikers, Antifaschisten und Kommunisten Antonio Gramsci zusammenfassen: „Pessimismus des Verstandes, Optimismus des Willens.“