Dokumentation Deutsch-tschechischer Austausch

Bericht von einem deutsch-tschechischen Austausch der RLS in Litoměřice am 9. November 2019

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Aus Thüringen in das kleine tschechische Städtchen Litoměřice angereist, durften Lena Saniye Güngör (Vorstandsvorsitzende der Rosa-Luxemburg-Stiftung Thüringen und Abgeordnete der Fraktion DIE LINKE im Thüringer Landtag), Lennart Nover (Student und Mitarbeiter im Wahlkreisbüro RedRoXX) und ich an einem deutsch-tschechischen Austausch teilnehmen, den das Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Prag organisiert hatte. Der Austausch brachte politische Perspektiven aus Sachsen, Thüringen und der tschechischen Region ‎Ústecký kraj zusammen.

Anfangs berichtete ich von der aktuellen politischen Situation in Thüringen und legte den Fokus vor allem auf die Zeit vor der Landtagswahl 2019 und hob einige Gründe hervor, warum bestimmte Wähler*innengruppen welche Partei gewählt haben. Hier lag der Fokus vor allem auf der strukturellen Benachteiligung der ostdeutschen Bundesländer im Vergleich zu Westdeutschland und dem Erstarken der AfD. Anschließend wurde über Verkehrspolitik und konkret den öffentlichen Personennahverkehr in ‎Ústecký kraj informiert und diskutiert. So wurden zum Beispiel in Litoměřice hauptsächlich durch den Druck der linken Partei KSČM („Komunistická strana Čech a Moravy“ / „Kommunistische Partei Böhmens und Mährens“) vor ein paar Jahren zwei öffentliche Buslinien gestartet, die komplett kostenfrei für alle nutzbar sind. In der Region Ústecký kraj sieht es anders aus. Dort werden Entgelte erhoben, um vor allem ein qualitatives Netz gewährleisten zu können. Im dritten Block präsentierte Lena Güngör eine ausführliche Analyse zur Thüringen-Wahl. Sie gab Ausblick darauf, wie sich die Arbeit einer Minderheitsregierung ausgestalten könnte, welche politischen Kräfteverhältnisse zurzeit bei der Mehrheitsfindung wirken und stellte die Arbeit der Fraktion DIE LINKE im Thüringer Landtag vor. Hier hob sie verschiedene Arten und Weisen von Wahlkreisarbeit hervor.

Der Austausch zeigte, dass sich Thüringen und Ústecký kraj strukturell und historisch ähneln. Ústecký kraj hatte nach dem Rückzug der Sowjetunion mit wirtschaftlichen Herausforderungen umzugehen. Die damals ansässigen Industriebetriebe verließen die Region oder wurden mit der Zeit insolvent. Die Situation lässt sich ansatzweise mit der Thüringens und der durch die „Treuhand“ geprägten Zeit nach der Wende vergleichen. Heute wird in Ústecký kraj auf die Förderung und den Ausbau des Tourismus gesetzt. Sowohl in Thüringen als auch in Ústecký kraj fehlen starke linke Mehrheiten und an linken politischen Akteur*innen haftet noch immer das Image von Altkommunisten.

Zusammen mit Jarda Růžička (KSČM Litoměřice) und Joanna Gwiazdecka (Leiterin des Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Prag) – beide waren Initiator*innen des Austauschs und ihnen gilt es zu danken! – werden wir einen umgekehrten Austausch planen. Wir wollen junge tschechische Politiker*innen nach Thüringen einladen. Der Austausch in Tschechien hat gezeigt, dass gerade junge Linke sich vernetzen und austauschen müssen, da wir doch vor vergleichbaren Herausforderungen stehen, aber teilweise ganz andere Herangehensweisen haben.

Am Abend vor dem offiziellen Austausch hieß uns Jarda mit einem Kollegen willkommen. Sie warteten gespannt auf das Ergebnis eines Referendums, mit dem die Einwohner*innen von Litoměřice befragt wurden, ob sie das städtische Krankenhaus privatisieren wollen. Das Referendum hatte die KSČM vorangetrieben, um die Stadt in ihren Privatisierungsplänen zu bremsen. Dass die KSČM den Weg über ein Referendum suchte, wurde von vielen politischen Gegner*innen belächelt. Denn noch nie gingen in Tschechien abseits von Wahlkämpfen genügend Menschen zur Abstimmung eines Referendums. Doch als am Freitagabend die Ergebnisse des Referendums öffentlich wurden, zeigte sich der Erfolg: 51,5% der Wahlberechtigten gaben ihre Stimme ab und mehr als 95% stimmten gegen die Privatisierung. Das Referendum war somit erfolgreich und ist rechtlich bindend. Das städtische Krankenhaus in Litoměřice bleibt in öffentlicher Hand. Herzlichen Glückwunsch!

(Julian Degen, Rosa-Luxemburg-Stiftung Thüringen)