Dokumentation Wir wollen alles!

Bericht zum Vortrag über den (Post)Operaismus aus der Reihe „Marx am Montag“ mit Anna Stiede

Information

Zeit

25.11.2019

Der zweite Vortrag der Reihe „Marx am Montag“ zum (Post-) Operaismus fand mit der Politikwissenschaftlerin Anna Stiede am 25. November 2019 an der Universität Erfurt statt.

Der Operaismus, der als Theorie vor allem Expert*innen ein Begriff ist, darüber hinaus jedoch recht unbekannt scheint, ist eine neomarxistische Theorie der italienischen Arbeiter*innenbewegung, die in den 1960er Jahren ihren Ursprung hat. Der Operaismus war Bewegung und Theorie zugleich und orientierte sich vor allem an Arbeitskämpfen und den sozialen Fragen des Alltags. Der Operaismus fand bewusst außerhalb von Parlamenten oder klassischen Gewerkschaften statt, war dennoch rund um die Automobilindustrie in Norditalien organisiert. Aus dem Operaismus entwickelte sich der Postoperaismus, der mit dem Bestseller von Antonio Negri und Michael Hardt „Empire“ wieder aufflammte.

Operaismus bedeutet wörtlich übersetzt Arbeiterismus, was für mehr Verwirrung sorgen dürfte, als es erklärt. Stiede übersetzt den Begriff deshalb lieber als „Autonomie der Arbeit“ respektive „Autonomie der Arbeiter*innenschaft“ oder „Arbeiter*innenautonomie“. In ihrem Vortrag ging sie vor allem auf die Situation rund um die damals größte Automobilfabrik der Welt von „Fiat“ im Stadtteil Mirafiori in Turin ein. In der Fabrik wurden bis zu 4.500 Autos von circa 35.000 Arbeiter*innen am Tag produziert. Der Arbeitsalltag war vor allem von militärischem Drill und faschismus-ähnlichen Arbeitsbedingungen geprägt. Die Bewegung des Operaismus schaffte es teilweise, durch Streiks ganze Fabrikhallen lahm zu legen und somit die komplette Produktion aufzuhalten.

Der Operaismus zeichnete sich vor allem dadurch aus, radikal und militant Arbeit zu verweigern oder Produktionsabläufe zu stören, ohne dabei mit dem Arbeitgeber kooperieren zu wollen. Lohnarbeit war kein erstrebenswertes Ziel. Während in den Fabriken militärischer Drill herrschte und es in der Stadt kaum bezahlbaren, ordentlichen Wohnraum, Schulen und Krankenhäuser gab, weil der Ausbau der Infrastruktur in Turin nicht mit dem Zustrom an Arbeiter*innen aus dem Süden Italiens schritthalten konnte, stieg die Unzufriedenheit. Die Arbeiter*innen suchten und fanden neue Wege des antikapitalistischen Widerstandes, ohne dabei auf die Arbeit von klassischen Gewerkschaften oder Parteien vertrauen zu müssen.

Der Vortrag zeigte, dass der Operaismus vor allem mit Bezug auf seine Aktionsformen heute wieder an Bedeutung gewinnt. Einschränkend ist, dass die Arbeits- und Produktionsverhältnisse sich von damals zu heute dramatisch verändert haben und auch die Gewerkschaften damals große Erfolge erzielen konnten. Klassische Gewerkschaften und Parteien stehen dennoch vor der Aufgabe, neue Aktionsformen und neue Perspektiven auf die Arbeit und das Leben zu entwerfen.

Die nächsten Termine der Reihe „Marx am Montag“ finden sich auf der Website www.th.rosalux.org und der Facebook-Seite der Rosa-Luxemburg-Stiftung Thüringen.

Julian Degen