Dokumentation Erkenntnisse einer Reise in die thüringische Rhön

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Erkenntnisse einer Reise in die thüringische Rhön

Im Rahmen eines gemeinsamen Projekts der Rosa-Luxemburg-Stiftung-Thüringen und der Offenen Arbeit Erfurt, organisierten die Kooperationspartner eine Bildungsreise in das Biosphärenreservat Rhön. An dieser Reise nahmen 17 Personen teil.

Am Vorabend der Reise wurde eine Veranstaltung zum Thema „Ein neues Zeitalter – Das Anthropozän?“ als Einstimmungsvortrag und Diskussion angeboten.

Die Reise selbst trug den Titel „Klimawandel und eine andere Perspektive – Das Biosphärenreservat Rhön“. Ziele der Exkursion waren u.a.: Die Geschichte, Bedeutung und Aufgaben der Biosphärenreservate; Erläuterungen zum Zusammenhang von Natur und Wirtschaft innerhalb der Reservate; Die Bedeutung von Klimawandel, Krisen und dem Anthropozän für Konzeption und Praxis der Arbeit sowie die Diskussionen über mögliche Antworten auf eine andere Perspektive des Konflikts Mensch – Natur.

Die Exkursion bezog sich auf den thüringischen Teil der Rhön. Am ersten Tag besuchten die Teilnehmer*innen die Reservatsverwaltung in Zella und ließen sich über die Arbeit im Biosphärenreservat informieren. Dabei spielte die Bedeutung der Einteilung des Naturschutzgebietes in drei Zonen eine wichtige Rolle: Kernzone (ohne menschlichen Einfluss), Pflegezone (eine auf die Schutzziele abgestimmte Nutzung) und Entwicklungszone (Modellprojekte wirtschaftlicher Entwicklung). Dies bestimmt die Grundlage aller rund 700 weltweiten, von der UNESCO anerkannten Biosphärenreservate in 129 Ländern.

Speziell in der Rhön finden sich 40% Waldfläche, vor allem Buchenwald. Weitere Landschaftsbestandteile sind u.a. Streuobstwiesen, Kalkmagerrasen, artenreiche Grünflächen, Bäche und Auenwälder, ehemalige Steinbrüche und Basaltblockhalden usw. Eine Besonderheit stellt das Vorhandensein einer natürlichen Nachtlandschaft dar. Seit August 2014 ist das Großschutzgebiet ein international anerkannter Sternenpark. Zum diesjährigen 30. Gründungsjubiläum wurde das Motto „Mensch, Natur, Einklang“ ausgegeben. Aktuelle Projekte sind die Stärkung regionaler Kreisläufe, die Partnerschaft mit einem Biosphärenreservat in Peru, Waldbaumaßnahmen und ein Klima-Rhön-Projekt zum Umgang mit Wasser.

Dass zur Arbeit im Reservat auch verschiedene Herausforderungen zählen, wurde in den Gesprächen und Diskussionen deutlich. Dazu zählen u.a.: Das Vermehrte Auftreten von Neophyten; Konflikte mit Landwirten („Enteignung!“, „Mit meinem Land kann ich machen was ich will…“, „Das war schon immer so“); Das Auftauchen erster Wölfe; Der hoch-individualisierte Tourismus mit seinen Problemen: Motorisierung, Cross-Touren im Gelände, Nichteinhaltung von Pfaden und Wegen, Trekking-Touren, Drohnen, Geo-Caching - usw.

An den beiden folgenden Tagen wurde bei geführten Wanderungen das vorher Vorgetragene praktisch deutlich. Am ersten Tag standen vor allem geologische Themen im Mittelpunkt. Um dieses Thema herum kamen jedoch auch immer wieder konfliktträchtige Themen auf. So wurde Kritik sowohl an der Südlink-Trasse, als auch an der Aufstellung von Windrädern geübt. Letzteres ist auch zwischen Naturschutzverbänden und Klimaschützer*innen umstritten. Ein weiteres Thema war der frühere Gemeindebesitz an Ressourcen wie Land und Wasser. Bis zum Jahr 1956 wurde z.B. der Wasserverbrauch durch von der Gemeinde gewählte Verantwortliche geregelt. Nach der Übernahme der Ländereien durch die LPG ging auch diese Art der Gemeindeselbstverwaltung verloren. Ein besonderer Höhepunkt des zweiten Tages war der Besuch des ältesten Naturschutzgebietes der Rhön und des gleichzeitig ältesten natürlichen Bestands an Eiben in Deutschland. Er umfasst noch 300 bis 400 Bäume, z.T. in einem Alter von mehreren hundert Jahren.

Der Wanderführer beschrieb auch die im 7. und 8. Jahrhundert stattfindende friedliche Zuwanderung slawischer Menschen in das Gebiet, um hier zu arbeiten und zu leben. Diese wurden später zur Christianisierung und der Aufgabe ihrer Naturreligion gezwungen. Eine Information, die Vergleiche in die Gegenwart nahelegt.

Die Wanderung am Sonntag bewegte sich um den Berg Baier. In diesem Grenzgebiet der Hermunduren (Thüringen) zu den benachbarten Chatten (Hessen) trafen über Jahrhunderte die verschiedensten Interessen aufeinander. Eine große Zahl von Herrscherhäusern und unklare Grenzverläufe führten zu häufigen Konflikten und Kämpfen. Führte doch z.B. die direkte Verbindung von Frankfurt am Main nach Leipzig über den Baier. Der Berg selbst gehört seit zwei Jahren zur Kernzone des Gebiets. Von seinem Gipfel überblickt man in Richtung Nordwesten ein größeres Gebiet bis zu den Kalihalden der ehemaligen DDR-Kalibergbaugebiete von Merkers und Völkershausen. Diese vom Konzern Kali und Salz (Sitz in Kassel) nach 1989 übernommenen und geschlossenen Bergwerke (7.000 Kumpel wurden arbeitslos) werden inzwischen weiterbetrieben und bergtechnisch betreut. Dafür zahlt das Land Thüringen – ein weiterer Konflikt in der Region und darüber hinaus.

Mit Bezug auf den bis heute anhaltenden Abbau von Basalt zitierte der Wanderführer das Sprichwort: „Die Rhön ist nur Stein-reich“. Dies bezieht sich auf Gegenwart und Vergangenheit. Im 19. und 20. Jahrhundert wanderten zwischen 20 und 30 % der Bevölkerung der Rhön wegen der verbreiteten Armut aus. Die aktuelle Ausbeutung der Basaltvorkommen hinterlässt ihre Spuren in der Landschaft. Der dem Baier gegenüberliegende Dietrichsberg ist bis tief in sein Inneres ausgehöhlt. Der Basalt wird u.a. für den Straßen- und Eisenbahnbau sowie für den Schutz der Küsten durch den Einsatz von Wellenbrechern eingesetzt. Doch es deuten sich auch neue Entwicklungen an: Es wurde kolportiert, dass vor einiger Zeit ein (so die Vermutung) australischer Konzern mit Einsatz eines Flugzeugs nach Kupfer suchen ließ. Trotz geringer Konzentration des Kupfers im Gestein scheint der Abbau wieder lohnenswert zu werden. Es wird interessant sein zu beobachten, ob bei etwaigen Funden wie so oft im Interesse der Wirtschaft oder des Naturschutzes entschieden wird.

Nicht nur in diesem Zusammenhang wurde das konfliktträchtige Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt deutlich. In weit angenehmerer Form als in dem oben genannten Beispiel wurde dies an zwei anderen Orten offensichtlich – dem Steinmeer, einer sich in der Kernzone befindlichen Hangblockhalde aus Basaltbrocken, welches seit ca. 10.000 Jahren von menschlichen Eingriffen unberührt blieb. Gegenwärtig wird im Reservat darüber diskutiert, ob auf der Halde wachsende Jungbäume und Büsche entfernt werden dürfen/müssen (wegen der Gefährdung des Permafrostbodens innerhalb der Halde). Eine Folge des Klimawandels. Die eine Seite fordert dies zum Schutz der Halde, die andere Seite verweist auf das Verbot menschlicher Eingriffe in die Kernzone – eine klassische Diskussion unserer Gegenwart.

Das zweite Beispiel: Auf einem Waldstück ließ die Gemeinde Dermbach vor drei Jahren abgestorbene Fichten durch eine Firma entfernen. Die Firma setzte einen Harvester ein, die Kosten bezifferten sich auf 36.000 €. Der anschließende Verkauf des Holzes brachte aber nur 10.000 € ein. Nun muss die Gemeinde schauen, wie sie den Fehlbetrag auftreibt. Inzwischen wachsen auf dem gerodeten Stück Wald junge Buchen heran – und damit ein kleines Stück Hoffnung.

Die Tage hinterließen bei den Teilnehmer*innen nachhaltige Eindrücke. Es wurde deutlich, wie intensiv die Menschheit in Vergangenheit und Gegenwart ihre Umwelt beeinflusst hat. Meist zum Schaden letzterer. Aber am Ende auch zu ihrem eigenen Schaden. Und es machte sich die Erkenntnis breit, dass nur eine grundlegende Transformation hin zu einer ökologischen Gesellschaft das Verhältnis Mensch – Natur reparieren kann. Ob dies mit dem auf Mehrwert und Profit orientierten Kapitalismus möglich werden könnte, ist allerdings zu bezweifeln.

Bernd Löffler