Nachricht | Gestaltungsperspektiven aus der Minderheit

Nach dem Beitrag „«Tage, die das Land bewegen» – zum Zweiten“ hier ein Beitrag von Christian Schaft.

Nach den Beiträgen „«Tage die das Land bewegen» – zum Zweiten“ des Regionalbüroleiters Volker Hinck und "Wie weiter in Thüringen" unseres Mitglieds Paul Becker erreichte uns ein dritter Diskussionsbeitrag. Auch weiterhin wird das Diskussionsangebot unserer Stiftung genutzt. Christian Schaft, MdL der Fraktion DIE LINKE im Thüringer Landtag und Mitglied unserer Landesstiftung, macht sich in seinem Beitrag „Gestaltungsperspektiven aus der Minderheit“ Gedanken über die zukünftige Strategie der Partei DIE LINKE und damit auch um die Zukunft der rot-rot-grünen Landesregierung. Wir dokumentieren unten diese Überlegungen, um die Debatte fortzuführen.


Die parlamentarische Sommerpause in Thüringen ist zu Ende. Der politische Paukenschlag der Nichtauflösung des Thüringer Landtags – eine bittere politische Niederlage - liegen einige Wochen zurück. Garniert wurde dies in der Folge mit den verächtlich machenden Spielchen der AfD im Thüringer Landtag und dem „konstruktiven Misstrauensvotum“ in Form eines MP-Kandidaten Höcke. Volker Hinck beschrieb diese Gemengelage in seinem Text „Tage, die das Land bewegen – Die Zweite“[1]. Nun folgen weitere Tage, die das Land bewegen werden.  Bewegen wird DIE LINKE und das Rot-Rot-Grünen Minderheitenbündnis die Frage, wie sich die CDU nun eine sach- oder anlassbezogene Zusammenarbeit im Parlament vorstellen wird. Jetzt wo sie verkündete einem erneuten Stabilitätsmechanismus nicht mehr zur Verfügung zu stehen. Und wenn sie als vermeintlich „konstruktive Opposition“ Ideen der regierungstragenden Fraktionen und Parteien als „Ideologieprojekte“ abkanzelt und damit eher destruktiv wirkt. Ähnliches gilt für die Frage wie eine künftige konstruktive Oppositionsarbeit einer FDP-Abgeordnetengruppe im Parlament aussehen wird. Die Antworten darauf dürfen nicht sein in der Defensive zu bleiben, abzuwarten, sinnbildlich wie das Kaninchen vor der Schlange zu sitzen.

So wie es nicht gereicht hat die CDU zum Einhalten des Stabilitätsmechanismus aufzufordern, so reicht es aufgrund des nachhaltig wirkenden Vertrauensbruches nicht aus, auf die wiederkehrende Vernunft der demokratischen Oppositionsfraktionen zu warten. Sicherlich müssen mit beiden Parteien Gespräche zur künftigen Zusammenarbeit geführt werden. Aber zeitgleich steht DIE LINKE und ein Rot-Rot-Grünes Bündnis vor der Herausforderung als Minderheitenkoalition Wege und Möglichkeiten zu finden das Land Thüringen die nächsten 3 Jahre bis zur regulären Wahl nicht nur im Rahmen des kleinsten gemeinsamen Nenners sozial und ökologisch zu verwalten. Anspruch muss es sein die Herausforderungen, die uns bevorstehen aufzugreifen und politisch zu bearbeiten.

Michael Ebenau hat in der #Ländersache der Rosa-Luxemburg-Stiftung für Thüringen[2] einige dieser Herausforderungen benannt:

  • Der Kampf gegen autoritäre Politikmodelle und deren politische Vertreter*innen
  • Die Wende zum Besseren im Alltag der Menschen durch konkrete Maßnahmen zur Aufwertung ländlicher Räume und die Überwindung sozialer und räumlicher Ungleichheiten
  • Die Bewältigung der Folgen des Klimawandels durch eine wirksame und nachhaltige Energie-, Umwelt- und Infrastrukturpolitik
  • Die Transformation der Wirtschaft (insbesondere im Bereich der Automobil- und Zuliefererindustrie) und den spürbaren Einstieg in eine Mobilitäts- und Verkehrswende verbunden mit einer industriepolitischen Strategie, die bereit ist sich mit den Kapitalinteressen anzulegen, um umzusteuern

Eine unzureichende Bearbeitung dieser Herausforderung durch konkrete politische Maßnahmen wird die gesellschaftliche Spaltung vertiefen. Daraus muss eine gestaltende linke Politik auch in der Minderheit die entsprechenden Schlussfolgerungen ziehen.  

Soziale Modernisierungspartei mit Gestaltungsanspruch

Zunächst können wir festhalten, DIE LINKE in Thüringen bleibt auch in den letzten Umfragen die stärkste politische Kraft. Wir wissen, dass eine Mehrheit der demokratischen Fraktionen nicht ohne DIE LINKE im Landtag möglich ist. Doch ist das allein noch kein Wert für sich. Es kann aber von Wert sein, wenn wir uns verinnerlichen, dass sich damit auch in der Rolle als Minderheitenregierung eine Gestaltungs- und Machtperspektive ergibt. Nicht nur durch die exekutiven Kompetenzen im Rahmen von ministeriellen Verordnungen und Richtlinien oder die Möglichkeit als Land im Bundesrat aktiv zu werden.

Um diese Gestaltungsperspektiven zu nutzen, braucht es statt dem von Volker Hinck konstatierten „Starren auf den Feind“ und einer Fokussierung auf den Parlamentsbetrieb, in der die Gefahr des Verlierens im klein-klein des parlamentarischen Alltags besteht, eine selbstbewusste Rolle, die DIE LINKE als Partei im Zusammenspiel mit Fraktion und Regierung annehmen muss. Mit dem Ziel gemeinsam politische Schwerpunkte für die Bearbeitung der bereits genannten Herausforderungen zu definieren.

Ob in der Opposition in einigen Ländern und im Bund oder in Regierungsverantwortung wie in Thüringen, Bremen oder Berlin, muss DIE LINKE ausstrahlen, eine soziale Modernisierungspartei zu sein. Mit der Aufgabe radikaler Realpolitik im Besten Sinne. Das bedeutet politisch pragmatisch zu handeln, ohne die gesellschaftlichen Realitäten zu ignorieren oder sie ebenso wenig einfach nur zu verwalten. Es reicht nicht allein auf das Erreichte zurückzublicken und die Handlungsfähigkeit der Thüringer Landespolitik als alleiniges Ziel zu definieren.

Die Debatte über den Auflösungsantrag im Thüringer Landtag hat uns ein stückweit gelähmt als Partei und Fraktion ebenso wie die Minderheitenkoalition. Was angesichts des öffentlichen und medialen Fokus in den Hintergrund trat war die Idee und Erzählung eines von der LINKEN angeführten Reformbündnisses, dass mit dem Ziel angetreten ist Thüringen zu gestalten. Anders als die CDU es Jahrzehnte getan hat, die mehr schlecht als recht das Land verwaltete und im neoliberalen Sinne umbaute. Was es jetzt braucht sind die Strategien und programmatischen Zielstellungen, mit denen wir deutlich und klar aufzeigen wie die aktuellen existentiellen Krisen sozial und ökologisch überwunden werden können.

Ja zwei beitragsfreie Kitajahre, ein Azubiticket, ein vergabespezifischer Mindestlohn im Vergabegesetz, deutlich mehr Neueinstellungen im Schulbereich, Corona-Hilfspakete für Solo-Selbstständige, die Kommunen, Kultur, Vereine, Krankenhäuser, eine Meister*innengründungsprämie, die Stärkung der Bürger*innenbeteiligung in Thüringen, erfolgreiche Beispiele für Gemeindeneugliederungen: All das sind wichtige politische Erfolge auf dem Weg hin zu einem besseren Thüringen. Einem das wir 2014 als sozial gerecht formuliert hatten. Thüringen will DIE LINKE noch immer sozial, ökologisch und solidarisch gestalten.

Das ist ein Ziel, das in einem Parlament mit dem „freien Spiel“ der Kräfte durch je eine konservative-neoliberale Opposition und zusätzlich eine faschistische Fraktion unter Beschuss gerät und das mehr denn je. Denn die Ankündigung zur sach- und anlassbezogenen Arbeit der demokratischen Opposition, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass in den Ausschüssen bereits die Anträge und Gesetzentwürfe liegen, mit denen Projekte von Rot-Rot-Grün geschliffen werden soll. Bei der Windkraft wurde es bereits geschafft. Das Vergabegesetz der Union zur Streichung des Mindestlohns liegt schon im Ausschuss. Und solange eine CDU nur mit markigen Worten, aber nicht im Abstimmungsverhalten oder bei der Aufstellung von Direktkandidat*innen in Wahlkämpfen die Abgrenzungen nach rechts ernsthaft unter Beweis stellt, steht der von Paul Becker benannte „bläulichbraune Elefant“[3] weiter als Bedrohung im Raum: Dann könnten erste Anträge, später Gesetze,  mit der AfD verabschiedet werden und die Fraktion Höckes wird zur normalisierten Kraft eines rechten Blocks im Landtag.

Angriffe abwehren und in die Offensive kommen

Sicherlich diese Angriffe durch einen rechts-konservativen Block gilt es abzuwehren. Aber nicht nur die Abwehr auch die Offensive muss gut aufgestellt sein. Dazu brauchen wir eine radikale Realpolitik im besten Sinne. Eine solche ist es nicht, nur die Gesetze und Projekte aus der letzten Legislatur zu verteidigen. Eine solche ist es in die Vorhand zu kommen und die CDU mit Gesetzen und Anträgen und Projekten zu stellen, die die LINKE Idee eines sozialen, gerechten und ökologischen Thüringens greifbar werden lassen und dazu beitragen, die tiefe gesellschaftliche Spaltung zu überwinden.

Ein Agrarstrukturgesetz lässt es praktisch werden. Ein Gesetz, dass den Ausverkauf der landwirtschaftlichen Flächen stoppt und unsere Ernährungsgrundlage vor unserer Haustür nicht dem Markt überlässt. Eine Idee, die schon lange diskutiert wird und für die es an der Zeit ist sie öffentlich mit Betroffenen und Verbänden zu beraten, um anknüpfend an ihre Lebensrealität im Kampf um ihren Betrieb und ihre Beschäftigten die Situation zu verbessern. Einen solchen Gesetzentwurf, der mit dem System bricht, den kleinen und mittelständigen Betrieben eine Perspektive gibt und damit der Landwirtschaft in Thüringen, muss sich eine CDU erstmal trauen abzulehnen. Es wären am Ende auch solche destruktiven Verhaltensweisen der Union, die den Keil der Enttäuschung ehemaliger CDU-Stammwähler*innen immer tiefer treibt. Und dann werden reflexartige „das ist Sozialismus“-Tiraden der Union wie beim Vorschlag von Bodo Ramelow für eine Stiftung zur Sicherung von Flächen nicht mehr reichen.

Und dies ist nur ein Beispiel. Das ließe sich an vielen weiteren Projekten durchdeklinieren mit der Forderung nach einem Kulturfördergesetz, mit der Umstellung der Lehrer*innenbildung auf eine schulstufenbezogene Ausbildung als ein Baustein längeren gemeinsamen Lernens, die Änderung der Verfassung zur Abschaffung des Primats des dreigliedrigen Schulsystems, ein deutliches Ausbauprogramm für die erneuerbaren Energien, ein Beteiligungsfond zur Teilübernahme von Unternehmen um sie bei der Transformation zu unterstützen, ein Landesantidiskriminierungsgesetz, die Abschaffung der Schuldenbremse in der Landeshaushaltsordnung und so weiter. Initiativen die deutlich werden lassen, wie DIE LINKE die sozial-ökologische Wende in Thüringen gestalten will.

Über diese Projekte braucht es trotz der schwierigen Mehrheiten im Thüringer Landtag öffentliche Diskussionen, um in der Sache mit klarem politischem Kompass und Sachverstand die beste Lösung im Sinne einer sozialen Politik in Thüringen zu suchen. Und dann auch umzusetzen und für die Menschen konkret im Alltag, im Geldbeutel, im Dorf, auf dem Weg zur Arbeit, in der Schule, im Verein, in der Bibliothek, im Theater oder wo auch immer erlebbar werden zu lassen.

Erneuerungsmoment gegen die Veränderungsmüdigkeit

Und das ist dringend notwendig. Denn die Krisen unserer Zeit werden so oder so einen Wandel mit sich bringen. In dieser Situation haben wir zwei Möglichkeiten: Erstens auf den Wandel zu warten und ihn die Menschen überrollen zu lassen. Oder zweitens ihn zu gestalten und das mit den Menschen in Thüringen. Die erste Variante - mit dem Abstrich, dass die CDU-geführte Politik nicht wartete, sondern aktiv ihren Teil dazu beitrug - haben die Menschen in Thüringen mit all den bekannten Folgen Anfang der 1990er Jahre bereits erlebt. Und die Nachwirkungen zeigen sich nicht nur in den bekannten Arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitischen Statistiken. Sondern auch in den Wahlergebnissen.

Horst Kahrs, beschreibt es im Wahlnachbericht zur Landtagswahl in Sachsen-Anhalt so: „60% der Befragten sind »veränderungsmüde«, erschöpft von den Umwälzungen in Wirtschaft, Gesellschaft, Alltag, Familie, Biografie der vergangenen 30 Jahre oder abstrakter formuliert: von den Anpassungs-Forderungen des flexiblen Kapitalismus. Hier macht sich eine konservative Tiefenströmung bemerkbar, die - bis auf die Grünen - die Anhängerschaften aller Parteien durchzieht und deren Ausgestaltungen näher analysiert werden müssen. Die Befürchtungen der AfD-Anhänger sind mit hoher Wahrscheinlichkeit anders gelagert als diejenigen der LINKE- oder SPD-Wähler. Sie zu kennen und politisch zu bearbeiten ist eine Voraussetzung, damit aus »Veränderungserschöpfung« nicht weiterer Rohstoff für völkischen Nationalismus nachwächst.“ [4]

Diese Veränderungsmüdigkeit entsteht auch dadurch, dass Menschen nicht nur das Gefühl haben, sondern auch Erfahrungen machen, dass sie von Veränderungen überrollt werden. Dass sie keine Möglichkeit der Mitgestaltung haben. Doch Veränderungen insbesondere in dieser Zeit mit den vielfältigen Krisen, die uns beschäftigten, können wir nicht aufhalten. Wir müssen sie politisch bearbeiten, ihnen mit konkreten Projekten begegnen. Wollen wir „die Veränderungsmüden“, die noch im demokratischen Spektrum verankert werden können, dabei nicht verlieren, liegt es an uns, nicht in die Rolle der sozialen Krisenverwalter*innen zu rutschen, sondern als LINKE soziale Modernisierungspartei zu sein. 

Wollen wir sozial modernisieren, stehen wir als Partei vor der Aufgabe, im Parlament und in der Regierung gemeinsam mit den Partner*innen außerhalb des Parlaments neu zu definieren, was politisch notwendig ist. Auch als Erneuerungsmoment des rot-rot-grünen Reformbündnisses, als Alternative zu den Ideen neoliberaler, konservativer und autoritärer Politikmodelle, um sich zusammen wieder auf ein gemeinsames Projekt zu besinnen: Thüringen weiterhin sozialer und ökologischer zu machen und dabei die Lebensrealität der Menschen in Thüringen nicht aus dem Auge zu verlieren.

Die Frage, die dabei noch viel offensiver von gestellt werden muss, ist die nach einer Strategie, um gesellschaftliche Macht aufzubauen. Sicherlich wird es im ersten Schritt notwendig sein ein handlungsfähiges Parlament und im Sinne der zahlreichen Initiativen und Verbände einen Landeshaushalt für 2022 zu sichern. Doch der zweite Schritt, die Entwicklung einer gemeinsamen Strategie für eine demokratische, solidarische und emanzipatorische Politik einer rot-rot-grünen Minderheitenregierung, die CDU und FDP zur anlass- und sachbezogenen Kooperation zwingt, braucht einen neuen Stein des Anstoßes. Die Stärkung direktdemokratischer Elemente wie durch die Absenkung der Hürden für einen Bürger*innenanträge[5], die Einrichtung von Transformationsbeiräten in den Regionen zur Bewältigung des sozial-ökologischen Umbaus, die Demokratisierung von Planungsrecht[6] oder die Organisierung von breit angelegten Dialogprozessen zu Gesetzesvorhaben der Regierung und Fraktionen wären Möglichkeiten zur besseren Begleitung und Mitgestaltung der Landespolitik auf parlamentarischer Ebene. Zusätzlich braucht es Räume für die Diskussionen über die langfristigen politischen Zielstellungen über die Wahlperiode hinaus in gemeinsamen Diskussionsforen, Bündnisstrukturen, Netzwerken, Kämpfen und Auseinandersetzungen. Darauf wies auch Michael Ebenau hin, der in der #Ländersache auf die „vielfältigen Thüringer Initiativen, Verbänden und Bewegungen“ verwies „…die seit teils drei Jahrzehnten aktiv sind und mit ihrer Arbeit die Gesellschaft in Thüringen gestalten.“ Mit ihnen gemeinsam müssen wir die Wege gehen, um eine progressive Politik in Thüringen aus einer Minderheitenperspektive mit Gestaltungsanspruch möglich werden zu lassen. Ganz im Sinne neuer gesellschaftlicher und parlamentarischer Mehrheiten.

Christian Schaft, Mitglied des Thüringer Landtags für die Fraktion DIE LINKE und Mitglied der Rosa-Luxemburg-Stiftung Thüringen e.V.