Publikation Staat / Demokratie - International / Transnational - Parteien / Wahlanalysen - Nordafrika Knessetwahlen 2009 – Hintergründe, Ergebnisse, Perspektiven

Am 10. Februar 2009 fanden die Wahlen zur 18. Knesset, dem 120 Abgeordnete umfassenden israelischen Parlament, statt. »standpunkte international« 6-09, eine Wahlanalyse von Angelika Timm, Leiterin des RLS-Regionalbüros in Tel Aviv.

Information

Reihe

Standpunkte international

Autorin

Angelika Timm,

Erschienen

Februar 2009

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Am 10. Februar 2009 fanden die Wahlen zur 18. Knesset, dem 120 Abgeordnete umfassenden israelischen Parlament, statt. Die laut Grundgesetz alle vier Jahre durchzuführenden allgemeinen, landesweiten, direkten, gleichen, geheimen und proportionalen Wahlen wurden um ein Jahr vorgezogen. Der Premierminister, Ehud Olmert, war am 22. September 2008 aufgrund der gegen ihn wegen Korruptionsverdacht eingeleiteten gerichtlichen Untersuchungen von seinem Amt und als Vorsitzender der Partei Kadimah zurückgetreten. Die neue Parteivorsitzende, Zipi Livni, scheiterte beim Versuch, eine neue Regierung zu bilden.

Zur Stimmabgabe aufgerufen waren 5.278.985 Bürger – 264.000 mehr als 2006. Sie konnten sich für eine der 33 zugelassenen Wahllisten entscheiden. Um in das Parlament einzuziehen, sind seit 2006 mindestens 2% der gültigen Stimmen erforderlich (1949 bis 1988 betrug die Sperrklausel 1%, 1992 bis 2003 – 1,5%).

Akzente des Wahlkampfes

Am 1. Februar 2009 schrieb die Tageszeitung Haaretz, dass am 10. Februar „eine der trockensten, langweiligsten und unverständlichsten Wahlkampagnen zu Ende gehe“. Und noch zwei Tage vor dem Urnengang waren 25% der Wähler unentschlossen, für wen sie votieren bzw. ob sie überhaupt zur Wahl gehen sollten. Der Wahlausgang schien in den Medien schon im Vorfeld entschieden, d. h. dem rechtskonservativen Oppositionsführer Benjamin Netanjahu war ein sicherer Sieg vorausgesagt. Am Wahltag selbst jedoch hatte sich die Stimmungslage gewandelt. Alle Meinungsforschungsinstitute registrierten ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen dem Likud-Führer und der Kadimah-Vorsitzenden. Als besonders brisant erwies sich die wachsende Popularität Avigdor Liebermans, des Führers der 1999 gegründeten rechts-nationalistischen Partei Jisrael Beitenu, die im Schatten der israelischen Militäroffensive in Gaza mit antiarabischer Polemik punkten konnte. Die von Lieberman ausgehende Gefahr für die israelische Demokratie war für viele Israelis ein zusätzlicher Grund, ihr Wahllokal aufzusuchen.

Bis zum Herbst 2008 hatten soziale Fragen und die Umweltproblematik eine wichtige Rolle im innenpolitischen Diskurs gespielt. Angesichts der militärischen Eskalation in Gaza verloren beide Themen jedoch an Bedeutung. Der Wahlkampf wurde zunehmend durch die Sicherheitsproblematik dominiert. Die Grenzen zwischen „Tauben“ und „Falken“, sei es im israelisch-palästinensischen Verhältnis (Siedler und Siedlungen, künftige Grenzziehung, Status von Jerusalem, palästinensische Flüchtlinge u. a.), sei es bezüglich der Golanhöhen, waren lange unschwer zu verorten; nunmehr verschwammen sie zusehends. Der Gazakrieg wurde von allen zionistischen Parteien mitgetragen und befürwortet; ebenfalls wird eine atomare Bewaffnung Irans vom überwiegenden Teil der Bevölkerung als existenzielle Gefahr betrachtet; die breite Öffentlichkeit tolerierte zudem das halbherzige Vorgehen der Regierung Olmert gegenüber gewaltbereiten Siedlern im Westjordangebiet. Obwohl die Mehrheit der Israelis nach wie vor die Zweistaatenlösung befürwortet, stehen aktuell weder die Räumung von Siedlungen noch ein weiterer Rückzug aus der Westbank auf der Tagesordnung.

Der kürzeste Wahlkampf in der Geschichte Israels wurde weniger durch Wahlveranstaltungen, Poster und Flugblätter als vielmehr durch Internetwerbung geprägt. Es fehlten charismatische Politiker, die dem Buhlen um Wählerstimmen ihren Stempel aufgedrückt hätten. Als Gideon Levy in Haaretz über „drei zweitrangige Kandidaten, zwischen denen es nicht den geringsten Unterschied“ gäbe, schrieb, hatte er neben Benjamin Netanjahu und Zipi Livni zweifellos Ehud Barak, den Vorsitzenden der Arbeitspartei (Avodah), mit im Blick. Barak setzte im Wahlkampf vor allem auf die nationalistische Welle im Lande und auf seine Verdienste als Verteidigungsminister im Gaza-Abenteuer.

Vor dem skizzierten Hintergrund gelang es Avigdor Lieberman, das Interesse der Medien auf sich zu ziehen. Seine gegen die arabischen Staatsbürger gerichtete Forderung „Ohne Loyalität keine Staatsbürgerschaft“ fiel insbesondere bei Jugendlichen auf fruchtbaren Boden, wurde jedoch zugleich von manchem jüdischen Israeli als Gefährdung demokratischer Grundwerte betrachtet. Der sephardische Oberrabbiner Ovadia Josef, durchaus kein Demokrat, bezeichnete Lieberman wegen dessen in der Mehrzahl nichtreligiöser Anhänger als „Ausgeburt des Teufels“. Nicht Hoffnung und Zukunftsoptimismus, sondern Hass, Furcht und gegenseitige Verdächtigungen prägten somit – so die Einschätzung namhafter israelischer Politologen und Publizisten – die Wahlkampagne 2009.
 

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