
Unter diesem Motto fand am 7. April 2018 die Tagung der Rosa-Luxemburg-Stiftung Thüringen anlässlich des 200. Geburtstages von Karl Marx im Jenaer Paradiescafé statt. Über 90 Teilnehmer_innen beschäftigten sich einen ganzen Tag mit den Fragen, zu denen die Konferenz einen marxistischen Zugang eröffnete:
Wie kann unsere Gesellschaft grundlegend verstanden und somit in Anschluss an Marx radikal emanzipatorisch verändert werden? Wer sind überhaupt gesellschaftsverändernde Akteur_innen und wie muss das Klassensubjekt heute verstanden werden? Welche Herrschaftskategorien sind neben der Herrschaft des Kapitals wichtig? Und nicht zuletzt: Wie fallen Veränderung der Umstände und Veränderung der Menschen selbst zusammen?
Die Tagung nahm eine grundsätzliche Perspektive der Befreiung und Emanzipation in den Blick und sollte kritische Selbstbefragung und Erweiterung marxistischer Politik ermöglichen. Dies schlug sich auch in der konkreten Ausgestaltung der Konferenz nieder, auf der überwiegend weibliche Redner_innen mit nicht-hegemonialen Standpunkten zum Marxismus sprachen.
Eröffnet wurde die Konferenz durch Sabine Nuss von der Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin, die in ihrem Beitrag der Frage nachging, warum Marx auch nach 200 Jahren aktuell ist. Sie diskutierte das Für und Wider einer Kommerzialisierung der Person Karl Marx. Die Tatsache des Zur-Ware-Gewordenseins der historischen Person in Gestalt von Marx-Krimis, Marx-Schokolade, Marx-Sekt usw. wertete sie augenzwinkernd als weiteren Beleg für die Richtigkeit der Marxschen Theorie. Sie konstatierte, dass Marx als personifiziertes schlechtes Gewissen des globalen Kapitalismus im 21. Jahrhundert erst dann reif für das Museum sei, wenn alle Ungleichheit beseitigt, alle Verhältnisse umgeworfen wären, in denen der Mensch ein geknechtetes Wesen ist.
Das erste Panel des Tages beschäftigte sich mit der Frage „Warum überhaupt Marx? Oder: Gesellschaft wird gemacht“. Hier diskutierten Nikita Dhawan und Tilman Reitz (Hanna Meißner fiel leider krankheitsbedingt aus) Voraussetzungen und Bedingungen von Gesellschaftsveränderung. Nikita Dhawan ging auf das teilweise widersprüchliche Verhältnis von Marxismus und postkolonialer Theorie ein. Der eurozentristische Blick auf den Kolonialismus sei eine der größten Begrenztheiten im Marxschen Denken. Die marxistische Theorie müsse um postkoloniale Kritik erweitert werden, wofür auch ein neues Vokabular zu entwickeln ist, das der Komplexität der Verhältnisse gerecht wird. Tilman Reitz postulierte als eines der Probleme „der Linken“ die Besserwisserei und verwies auf Marx nachdrückliche Kritik an rein intellektuell geleiteten „Weltverbesserungskonzepten“. Kritisches Denken müsse auf die Praxis zielen, der Rahmen dieses durchaus pluralen Denkens müsse eine gemeinsame, umwälzende Praxis sein. Die Herstellung von Kohärenz im Denken bzw. das Ausmerzen von Inkohärenz ist dafür keine notwendige Voraussetzung. Marx habe wenig über die konkrete Rolle der Intellektuellen in der verändernden Praxis gesagt. Es sei aber festzustellen, dass es ihre Aufgabe in konkreten Kämpfen ist, „solidaritätsfähig“ zu werden.
Link zum Film vom Graphic Recording: https://vimeo.com/285997061