Dokumentation Faschismus heute?!

Bericht zum Vortrag mit Volkmar Wölk über Zeev Sternhells Denken

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Am 21. Juni 2020 starb der Historiker, Politologe und Faschismusforscher Zeev Sternhell. Wenige Tage zuvor – am 16. Juni - fand auf Einladung der „Mobilen Beratung in Thüringen“ (Mobit) und der Rosa-Luxemburg-Stiftung Thüringen eine Vorstellung seines neu aufgelegten Buches „Faschistische Ideologie“ (Verbrecher Verlag, 2019) und Diskussion seine Theorien mit dem Übersetzer des Werkes Volkmar Wölk statt.

Sternhell wurde 1935 in Polen geboren, wurde von den Nazis verfolgt und musste fliehen. Nach Befreiung und Kriegsende lebte er erst in Frankreich und emigrierte 1951 nach Israel. Weltweit ist Sternhell für seine Forschungen zum Faschismus bekannt; in Deutschland blieb er jedoch bisher außer im Kreis von Expert*innen zumeist unbekannt. Seine Werke wurden erst spät ins Deutsche übersetzt.

Die Ausgangsfrage zur heutigen Beschäftigung mit Zeev Sternhell ist einfach: In vielen Regionen der Welt ist ein Erstarken faschistischer und extrem rechter Parteien zu beobachten – mit der AfD auch in Deutschland. Gleichzeitig erscheinen diese aber im Gewandt „der eigentlichen Demokraten“ - also derjenigen, die angeblich gegen eine vermeintliche „Diktatur“ vorgehen. Der Vortrag von Volkmar Wölk – Publizist und Experte für die extreme Rechte und Übersetzer von Sternhell - thematisiert nun die Frage, ob es Faschismus im Wortsinn heute noch gibt. Um diese Frage beurteilen zu können, setzten sich Sternhell in seinem Buch „Die faschistische Ideologie“ (und Wölk in seinem Vortrag) hauptsächlich mit den historischen Wurzeln und den Ursprüngen des Faschismus auseinander. Sie analysieren also nicht das Erscheinungsbild des Faschismus, sondern sein Wesen.

Sternhell begab sich bei seiner Forschung auf die Suche nach einem Idealtypus des Faschismus, betrieb also vergleichende Faschismusforschung. Für ihn liegen die Ursprünge des Faschismus nicht in Italien oder in Deutschland nach dem ersten Weltkrieg, sondern in Frankreich und in den Jahren vor dem ersten Weltkrieg. Diese Entstehung beschreibt er als faschistische Synthese – also das Phänomen, dass sich in Frankreich Gewerkschafter mit Nationalisten zusammenschlossen. Der Grund dafür war, dass die Nationalisten soziale Forderungen in ihre Agenda integrierten, da sie sonst die Einheit der Nation nicht herbeiführen hätten können. Wölk betonte, dass diese Synthese zwischen antidemokratischen Nationalisten und antimarxistischen Revisionisten des Sozialismus entstanden sei. Einer der Gründe für diesen Versuch einer Synthese lag – so beschrieb es Wölk – darin, dass der Arbeiterklasse scheinbar das revolutionäre Subjekt verloren ging und sie sich mit sozialen Reformen zufriedengab. Ein neues vermeintlich revolutionäres Subjekt fand diese antimarxistische Strömung im Sozialismus dann in der „Nation“.

Der Unterschied der Theorie von Sternhell und in Deutschland weitaus prominenteren Faschismustheorien besteht vor allem darin, dass der deutsche Faschismus der Nationalsozialisten auf dem exterminatorischen Antisemitismus beruhte, wohingegen ein faschistischer Idealtypus in der französischen oder italienischen Linie „die Nation“ in den Vordergrund stellte.

Im deutschen Nationalsozialismus – so betonte Wölk in seinem Vortrag – gab es die von Sternhell beschriebene Synthese nicht. Im deutschen Kontext werden ähnliche Bemühungen von rechts, die soziale Frage aufzugreifen, oft als soziale Demagogie beschrieben. Für die Situation in Frankreich trifft der Begriff der Demagogie aber nicht zu, denn die französischen Faschisten beabsichtigten ernsthaft die Integration der Arbeiterklasse. Dass es jedoch Antisemitismus in allen Strömungen des europäischen Faschismus gab, wurde im Vortrag nicht angezweifelt. Eine Einordnung heutiger konkreter Fälle von faschistischen Einstellungen unter Bezug auf Sternhells Theorie nahm Wölk im zweiten Teil der Veranstaltung vor.

Das Video zum Vortrag ist auf unserer Facebook-Seite abrufbar: www.facebook.com/RosaLuxThueringen/videos/262398075196092/.

Julian Degen