Autor*innen aus sieben verschiedenen Ländern widmen sich unterschiedlichen Bewegungen in Afrika, Asien, Europa und Lateinamerika. Sie untersuchen Revolutionen, nationale Unabhängigkeitsbewegungen und antikoloniale Kämpfe der Jahre 1916 bis 1921.
Nach dem Beginn des Ersten Weltkrieges herrscht Zensur. Verboten wurden – zum Beispiel im Rheinland – antimilitaristische Zeitungen, die kostenlos zu erhalten gewesen waren. So, wie etwa das «Mitteilungsblatt» der anarchosyndikalistischen «Freien Vereinigung», einem gewerkschaftlichen Zusammenschluss mit circa 6.000 Mitgliedern. Seine Redaktion musste bereits im August 1914 die Arbeit einstellen. Das Nachfolgeprojekt, das «Rundschreiben» hieß und nur noch intern verteilt wurde, konnte im April 1917 nicht länger erscheinen.
2014, als der Beginn des Ersten Weltkrieges sich zum 100sten Mal jährte, betonten die vielen Autor*innen etlicher Veröffentlichungen vor allem, dass «der Große Krieg», wie er etwa in Großbritannien oder Frankreich heißt, ein Ereignis von globaler Reichweite war. Ein neuer Sammelband rückt nun genau diesen weltweiten Rahmen, die globalen Dimensionen der «Proteste, Streiks und Revolutionen gegen den Ersten Weltkrieg» in den Blick – auf gewichtigen gut 500 Seiten.
Nach einer längeren und sehr guten Einleitung von Marcel Bois geben 13 Autoren und vier Autorinnen einen Überblick über verschiedene soziale Bewegungen und Proteste, die in der zweiten Kriegshälfte und der ersten Nachkriegszeit stattfanden. Dabei sind zwei Punkte wichtig. Zum einen die weltweite Bezugnahme auf die russische Revolution und deren Ideen von Rätebewegung, Frieden und erhoffter sozialer Gerechtigkeit. Zum anderen, dass es sich oftmals um Proteste und weniger um (organisierte) soziale Bewegungen oder gar das Handeln von der Arbeiterbewegung nahestehenden Parteien gehandelt hat. Auffällig ist, und das ist eines der Ergebnisse dieses Bandes, dass sich die Forderungen nach Demokratie, sozialer Gerechtigkeit und nach einem unabhängigen Nationalstaat oftmals sehr glichen.
Die Gegenkräfte aber waren stark, was sich schon allein daran ablesen lässt, dass es 1914 in Europa zwar 17 Monarchien, aber mit Portugal, der Schweiz und Frankreich gerade mal drei Republiken gab. Die Länder, die im Buch vorkommen, sind etwa Deutschland, Finnland, Irland, Niederlande, Österreich, Schweiz und Spanien. Ausserhalb Europas dann Ägypten, China, Japan und Südafrika.
Untersucht und beschrieben werden – vor allem im Zeitraum 1916 bis 1921: Desertionen, Meutereien, Hungerunruhen und Proteste gegen Wohnungsnot ebenso wie Streiks und Arbeiter*innenproteste, wie allgemein Forderungen nach Demokratie, nach einem Wahlrecht etwa. Oftmals waren diese sozialen und politischen Kämpfe mit der «nationalen Frage» verknüpft, so in Russland oder Österreich-Ungarn. Knut-Hinrich Kollex stellt beispielsweise die initiierende Rolle von Matrosen für Protestaktionen in verschiedenen Ländern vor. Jule Ehms berichtet über den Antimilitarismus der deutschen syndikalistischen Anarchist*innen während der ersten Kriegsjahre. Martin Göllnitz untersucht die Brutalisierung von jungen deutschen und österreichischen Akademikern, die sich nach 1919 an der Niederschlagung von «Aufständen» beteiligten.
Dieses «Geschichtsbuch» versammelt viele neue Erkenntnisse zu einem bislang eher unterbelichteten Thema, und ist insgesamt sehr lesenswert – manchmal knifflig allerdings: denn sechs der Beiträge des spannenden und global orientierten Bandes sind in englischer Sprache geschrieben. Die Lektüre lohnt aber auf ganzer Linie.
Marcel Bois/Frank Jacob (Hrsg.): Zeiten des Aufruhrs (1916–1921). Globale Proteste, Streiks und Revolutionen gegen den Ersten Weltkrieg und seine Auswirkungen; Metropol Verlag, Berlin 2020, 522 Seiten, 34 EUR