Kommentar | Rassismus / Neonazismus - Parteien / Wahlanalysen - Afrika Wer spricht für den Afrikanische Nationalkongress?

Ein Plädoyer dafür, dass der ANC sich geschlossen gegen Fremdenfeindlichkeit stellt

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Cyril Ramaphosa bei einer Ansprache
Cyril Ramaphosa, Präsident der Republik Südafrika am 1. Mai 2022 Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Denis Farrell

Das Problem der fremdenfeindlichen Angriffe auf ausländische Staatsangehörige erreicht in Südafrika neue, verstörende Ausmaße. Während der tagelangen Unruhen in Diepsloot wurde der simbabwische Gärtner Mbhodazwe Nyathi nur wenige Meter vor seinem Haus getötet, weil man ihn beschuldigte, ein Krimineller zu sein. Die Täter begründeten ihre abscheuliche Tat allein mit dem Umstand, dass Nyathi ihnen nicht nachweisen konnte, südafrikanischer Staatsangehöriger oder im Besitz eines rechtmäßigen Aufenthaltstitels zu sein (sie richteten selbst darüber, was in diesem Fall Rechtmäßigkeit bedeutete). Die brutale Ermordung von Mbhodazwe Nyathi ist ein deutliches Vorzeichen einer viel größeren Katastrophe, die Südafrika droht, wenn der regierende Afrikanische Nationalkongress (ANC) nicht geschlossen Stellung gegen Fremdenfeindlichkeit bezieht.

Aus einigen öffentlichen Äußerungen des Präsidenten Cyril Ramaphosa geht zwar hervor, dass er Fremdenfeindlichkeit verurteilt und dagegen vorgeht, doch zugleich scheint er diese Position nicht so klar zu vertreten, dass sie sich auf die gesamte Parteibasis übertragen würde. Wie sich auch in vielen anderen Konflikten um Ramaphosas Staatsführung zeigt, teilen einige Parteikolleg*innen und Regierungsmitglieder seine Ansichten und Visionen nicht. Das zeigte sich zum Beispiel in den hetzerischen Äußerungen des ANC-Sprechers Pule Mabe, der sich für die fremdenfeindlichen Bestrebungen der sogenannten Operation Dudula aussprach – was im Widerspruch zur bekannten Haltung des Präsidenten steht.

Fredson Guilengue ist Projektmanager der Rosa-Luxemburg-Stiftung im Büro Johannesburg und kommentiert regelmäßig die politische Lage in Mosambik.

Während Pule Mabe die Bewegung laut der südafrikanischen Zeitung Mail & Guardian dafür lobte, dass sie die Position des ANC spiegele, betonte Ramaphosa, dass die Südafrikaner*innen Menschen aus anderen Herkunftsländern mit Respekt begegnen müssen. Er kritisierte sogar die Polizeikontrollen, bei denen die Ausweise der ausländischen Bewohner*innen kontrolliert wurden, und verglich derlei Polizeiaktionen mit den Praktiken der Apartheid.

Wenn Ramaphosas Aussage die offizielle Stellungnahme Südafrikas und des ANC ist, für wen spricht dann Pule Mabe? In wessen Auftrag «unterstützt» er die Operation Dudula?

Pule Mabe ist nicht einfach nur ein Mitglied der Regierungspartei. Er ist ihr Sprecher. Seine Aufgabe ist es, auf nationaler Ebene die Meinung und Haltung der führenden Strukturen des ANC zu den verschiedensten Anliegen zu repräsentieren. Es sollte eigentlich keine Zweifel geben, dass er die Meinung des Parteivorsitzenden vertritt – es sei denn, er stellt sich öffentlich gegen seinen Chef und unterstützt die Operation Dudula.

Es ist auch nicht die erste Differenz zwischen einem hochrangigen Parteikader und Ramaphosa. Wir erinnern uns etwa an die widersprüchlichen Stellungnahmen der Verteidigungsministerin Nosiviwe Mapisa-Nqakula und Ramaphosas zu den Unruhen in den Provinzen Gauteng und KwaZulu-Natal im Juli 2021. Der Präsident bezeichnete die Geschehnisse als Aufstand, die Ministerin Nosiviwe hingegen als konterrevolutionäre Handlungen – ein weiteres Zeichen für den fehlenden Konsens innerhalb des ANC.

Dieser augenscheinlich fehlende Zusammenhalt innerhalb des ANC ist möglicherweise das Resultat der politischen Betroffenheit angesichts der Gewalteskalation (wie etwa in Diepsloot), für die der ANC händeringend nach plausiblen Erklärungen sucht. Zugleich aber birgt das Ausbleiben einer geschlossenen Positionierung gegen fremdenfeindliche Handlungen ein großes Risiko. Die Fremdenfeindlichkeit nimmt bereits besorgniserregende Ausmaße an, und das in den Medien dauernd wiederholte Narrativ, das die Migrant*innen als verantwortlich für die größten Probleme des Landes – Korruption, Verbrechen, Arbeitslosigkeit, schlechte Gesundheitsversorgung usw. – darstellt, befeuert diesen gefährlichen Missstand zusätzlich. Während die Arbeitslosigkeit neue Höchststände erreicht und der staatliche Sicherheitsapparat Schwäche zeigt, könnte diese zunehmende Politisierung der Migration auf nationaler und lokaler Ebene zu einem unkontrollierbaren Blutbad führen.

Dabei weiß der ANC sehr genau, dass Migrant*innen an der aktuellen Krise in Südafrika keine Schuld trifft. Die Regierungspartei kennt die strukturellen Zwänge in Südafrika, die das Schaffen neuer Arbeitsplätze behindern, kennt die Ursachen und Gesichter der Korruption und weiß, dass Nationalität nicht gleichbedeutend mit Kriminalität ist. Aber das ist noch nicht alles: Infolge der eigenen historischen Erfahrung des Exils (Migration) und der Rolle, die die panafrikanische Solidarität für das Überleben des ANC als Befreiungsbewegung gespielt hat, die später die Apartheid in Südafrika beenden sollte, erbt die Partei gewissermaßen die Aufgabe, für die Einigkeit aller Afrikaner*innen zu kämpfen. Der ANC ist die Befreiungsbewegung, die am meisten von der panafrikanischen und globalen Solidarität profitiert hat. Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass Südafrika die Verantwortung für alle anderen afrikanischen Länder trägt, aber impliziert dennoch eine offensivere Rolle Südafrikas; das Land könnte beispielsweise mit einer auf die Menschen ausgerichteten Außenpolitik und Diplomatie tatsächlich für Frieden, Demokratie und sozioökonomischen Aufschwung auf dem Kontinent eintreten. Der ANC sollte eine ähnlich kohärente Botschaft vertreten, statt durch widersprüchliche Handlungen Zweifel daran aufkommen zu lassen, dass die Partei überzeugt und entschieden für Pluralität einsteht.

Übersetzung von Claire Schmartz & André Hansen für Gegensatz Translation Collective.