Nachricht | Wirtschafts- / Sozialpolitik - Globalisierung - Afrika Afrika braucht wirtschaftliche Souveränität

Eine bevorstehende Konferenz in Dakar soll Strategien und Wege zur Stärkung des Kontinents fördern.

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Pressekonferenz während des Weltwirtschaftsforums für Afrika, Mai 2016. CC BY-SA 2.0, Foto: Flickr/World Economic Forum

Vielleicht leidet kein Kontinent mehr unter dem Erbe des europäischen Kolonialismus als Afrika. Nach jahrhundertelanger Versklavung und gewaltsamer Enteignung erlangten die afrikanischen Länder ab Mitte des 20. Jahrhunderts schließlich ihre Unabhängigkeit, nur um sich in der von ihren ehemaligen Kolonialherren dominierten Weltwirtschaft gefangen zu sehen. Selbst die ehrgeizigsten und radikalsten postkolonialen Regierungen Afrikas hatten angesichts der – wie Walter Rodney treffend formuliert – «verursachten Unterentwicklung» und eines globalen Finanzrahmens, der systematisch die wohlhabenden Länder des Nordens begünstigte, Mühe, sinnvolle Fortschritte beim Aufbau ihrer Volkswirtschaften zu erzielen und Lebensbedingungen für die breite Mehrheit zu verbessern.

Maha Ben Gadha ist Senior Economic Programme Manager im RLS-Büro für Nordafrika mit Sitz in Tunis.

Kai Koddenbrock ist politischer Ökonom an der Universität Bayreuth und beschäftigt sich mit der internationalen Währungsordnung, der Geoökonomie und den Verbindungen zwischen Sicherheits- und Wirtschaftspolitik.

Ndongo Samba Sylla ist Senior Research and Programme Manager im Westafrika-Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Heute wird die Weltwirtschaft nach wie vor von der neoliberalen Orthodoxie beherrscht, der zufolge arme Länder kaum mehr tun können, als ihre natürlichen Ressourcen zu verkaufen und ihre Arbeitskräfte ins Ausland zu schicken. Für Afrika bedeutete dies noch mehr Enteignung, Ausbeutung und Abwanderung von Fachkräften. Doch eine neue Generation von Denker*innen drängt auf einen alternativen Pfad. Inspiriert von verschiedenen heterodoxen Traditionen, darunter die «Moderne Geldtheorie» (Modern Monetary Theory, MMT), fordern Ökonom*innen in Afrika und im gesamten Globalen Süden eine neue Ära der wirtschaftlichen Souveränität, der friedlichen Entwicklung und der multipolaren Neuausrichtung.

Die bevorstehende Konferenz «Facing the Socio-Ecological Crisis: Delinking and the Question of Global Reparations», organisiert von der «African Economic and Monetary Sovereignty Initiative» mit Unterstützung der Rosa-Luxemburg-Stiftung, wird ein wichtiger Ort der Debatte und des Austauschs über genau diese Perspektiven sein. Andreas Bohne hat sich mit den Organisator*innen der Konferenz, Maha Ben Gadha, Ndongo Samba Sylla und Kai Koddenbrock, zusammengesetzt, um mehr über die Veranstaltung und die Art der politischen Initiativen zu erfahren, die sie zu fördern hoffen.

Die moderne Geldtheorie, oder «MMT», spielt eine wichtige Rolle bei der bevorstehenden Konferenz über wirtschaftliche Souveränität in Afrika, die Sie organisieren. Was reizt Sie an der MMT als Instrument für eine progressive Wirtschafts- und Finanzpolitik?

Ndongo Samba Sylla (NSS): Die MMT ist in erster Linie ein Forschungsansatz, der dazu beiträgt, die Funktionsweise des Geldsystems objektiv zu beschreiben, d. h. die Beziehungen zwischen Finanzministerien und Zentralbanken, wenn es um Staatsausgaben, Steuern und die Ausgabe von Staatsanleihen geht. In diesem Sinne erlaubt uns die MMT, zwischen realen und manchmal selbst auferlegten Zwängen zu unterscheiden.

Wenn beispielsweise einige Regierungen, die eine souveräne Fiat-Währung – d.h. ein von einer Regierung festgelegtes Zahlungsmittel – ausgeben, behaupten, es fehle ihnen an «Geld», oder wirtschaftliche Sparmaßnahmen und Massenarbeitslosigkeit als «unvermeidliche Folgen» darstellen, können wir die MMT nutzen, um diese Behauptungen zu widerlegen. Die MMT zeigt anschaulich, dass Länder, die eine staatliche Fiat-Währung ausgeben, nicht bankrottgehen können – sie können immer für die Verpflichtungen aufkommen. Die eigentliche Einschränkung, der sie ausgesetzt sind, ist die Inflation.

In der MMT-Literatur werden Unterschiede zwischen Kernländern wie den USA, Japan oder dem Vereinigten Königreich und Ländern an der Peripherie in Bezug auf ihre Flexibilität bei der Politikgestaltung anerkannt. Darüber hinaus lehnt die MMT zu Recht die monetären und fiskalischen Grundlagen des Ansatzes ab, der die internationale Entwicklungsagenda seit 1945 beherrscht und auf der Vorstellung beruht, dass es den Entwicklungsländern an «Geld» fehlt.

Eine der befreienden Botschaften der MMT für Länder in der Peripherie ist, dass alles, was technisch und materiell möglich ist, in der Landeswährung finanziert werden kann. Bedeutet dies, dass die Länder an der Peripherie keinen "externen Zwängen" ausgesetzt sind? Ganz und gar nicht. Vielmehr drängt die MMT ihre Regierungen dazu, ihre Ausgaben so zu gestalten, dass sie von «externen Zwängen» entlastet werden und die Inflation bekämpft wird, beispielsweise durch die Förderung der Nahrungsmittel- und Energiesouveränität.

Das koloniale «Modell» bestand darin, einheimische Ressourcen innerhalb der Grenzen und gemäß den Bedürfnissen der Wirtschaft in den kolonialen Metropolen zu mobilisieren. Meiner Ansicht nach können wir mit der MMT dieses Modell in Frage stellen, indem wir uns auf die Mobilisierung inländischer Ressourcen für die interne Akkumulation konzentrieren.

Die MMT ist in der Linken nicht unumstritten. Ich denke dabei an Dinge wie die Rolle der effektiven Verbrauchernachfrage, die sich oft auf die Interessen der Mittelschicht konzentriert. Wie gehen Sie mit dieser Art von Widersprüchen um?

NSS: Ich würde sagen, dass sich die MMT als makroökonomischer Ansatz mehr auf die Art und Rolle der Staatsausgaben als auf die Verbrauchernachfrage als solche konzentriert. Manchmal wollen Haushalte und Unternehmen vielleicht sparen. Damit dies geschehen kann, muss der Staat im Allgemeinen Defizite eingehen. Das ist eine unausweichliche Logik.

Die MMT zeigt, dass sich der Staat von anderen Wirtschaftsakteur*innen unterscheidet. Er ist in der Lage, die Wirtschaft zu stabilisieren, indem er Preisstabilität und Vollbeschäftigung aufrechterhält. Er kann dazu beitragen, Nachfragebeschränkungen anzugehen, die in einem kapitalistischen System immer kritisch sind. Man könnte zum Beispiel sagen, dass das Muster der Gesamtnachfrage geändert werden sollte, um die ökologische Nachhaltigkeit zu fördern. Unter diesen Umständen lautet das MMT-Argument im Allgemeinen, dass «Geld nicht bei reichen Leuten wächst». Was ich damit meine, ist, dass die Regierung, solange reale Ressourcen verfügbar sind, ihre Währung ausgeben kann, um sie für das Gemeinwohl zu verwenden.

Der Globale Süden muss sein eigenes Entwicklungsmodell schaffen.

Steuern erfüllen viele nützliche Funktionen, aber sie finanzieren keine Staatsausgaben. Die Besteuerung von Wohlhabenden könnte aus ökologischen und Gleichheitsgründen gerechtfertigt sein, aber das ist keine Einschränkung für staatliche Ausgaben für Projekte, die als Erfüllung eines öffentlichen Zwecks gelten. Dies muss geklärt werden, und genau das tut die MMT.

Auf Ihrer bevorstehenden Konferenz geht es um die Förderung der wirtschaftlichen Souveränität der Länder des Globalen Südens, aber es sieht so aus, als ob der größte Teil der Welt auf eine weitere Periode der Austerität zusteuert, mit einem neu ermächtigten IWF, der seine Kredite eher an Haushaltsdisziplin als an soziale oder ökologische Belange knüpft. Wie können die Länder des Globalen Südens darauf reagieren?

Maha Ben Gadha (MBG): Bei dem, was wir «Wiederherstellung der wirtschaftlichen Souveränität» nennen, geht es in Wirklichkeit um die Umsetzung einer nationalen Wirtschaftspolitik, die den Bedürfnissen des Landes Vorrang vor der Gier der Gläubiger und den Bedürfnissen der Mehrheit Vorrang vor dem Profitstreben einer elitären Minderheit einräumt. Wir fordern universelle öffentliche Dienstleistungen wie Gesundheitsfürsorge und Bildung, die Gewährleistung von Nahrung, Beschäftigung, die Sicherstellung angemessener Löhne und eines angemessenen Einkommens für diejenigen, die nicht arbeiten können. Wir sind überzeugt, dass dies nur durch öffentliche Ausgaben und nicht durch Sparmaßnahmen erreicht werden kann.

Wir erwarten vom IWF als Hüter des globalen Finanzkapitalismus nicht, dass er eine souveräne Wirtschaftspolitik vorantreibt. Wir alle wissen, dass die Profitakkumulation auf Enteignung, Ressourcen- und Arbeitsausbeutung beruht. Das Vorantreiben der Austeritätsagenda kann nur die fiskalische Flexibilität der Länder untergraben und es den Regierungen unmöglich machen, die oben genannten Ziele der guten Versorgung aller zu verfolgen. Deshalb sind wir der Meinung, dass der erste Schritt darin besteht, das Narrativ der Austerität aufzubrechen und zu dekonstruieren. Wir müssen uns fragen: Wer profitiert von geringeren Ausgaben für die öffentliche Gesundheitsversorgung? Wer profitiert davon, dass weniger für die Bildung ausgegeben wird? Wer profitiert von der Liberalisierung wichtiger Wirtschaftssektoren? Sicherlich nicht die Mehrheit der Bevölkerung. Fordert der IWF die Regierungen auf, weniger für Waffen auszugeben? Fordert der IWF Regierungen auf, Preise festzulegen, um Leben zu retten? Solche Beispiele gibt es zuhauf.

Der zweite Punkt, den wir verstehen müssen, ist die Art und Weise, wie Sparmaßnahmen in den Ländern eingeführt werden: Sind sie durch einen ausdrücklichen Verfassungsartikel zum Ausgleich des Staatshaushalts vorgeschrieben? Werden sie durch Gesetze auferlegt, die es den Zentralbanken verbieten, Regierungen zu finanzieren? Oder werden sie durch die Macht der Schuldenkonditionalität oder durch monetäre, institutionelle, technische oder politische Vereinbarungen auferlegt?

Dies ist der Punkt, an dem in jedem Land eine demokratische Debatte stattfinden sollte, an dem fortschrittliche Bewegungen kämpfen sollten und an dem die politischen Entscheidungsträger*innen Antworten geben sollten. Gelehrte, Rechtsexpert*innen und Wissenschaftler*innen sind in der Pflicht – sie können angesichts solcher Fehlentwicklungen nicht länger neutral bleiben. Die Kämpfe vor Ort sollten durch Alternativen, innovative Lösungen und klare praktische Vorschläge unterstützt werden.

Die Einsicht, dass der afrikanische Kontinent wirtschaftlich nicht souverän ist, ist nicht neu – ich denke dabei an die Arbeit von Persönlichkeiten wie Samir Amin oder Raul Prebisch. Obwohl sich ihre Ideen im gesamten Globalen Süden als populär erwiesen haben, wurden bisher kaum politische Fortschritte erzielt, um diese Realität zu ändern. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

NSS: Menschen wie Prebisch und Amin haben gezeigt, wie das Weltsystem in der Vergangenheit die wirtschaftliche Souveränität der Peripherie und deren Entwicklungsaussichten eingeschränkt hat. Nach der Unabhängigkeit unternahmen die afrikanischen Regierungen einige Anstrengungen, um zwischen 1960 und 1980 mehr politischen Spielraum im Weltsystem zu erobern, aber diese Errungenschaften wurden durch den Neoliberalismus seither wieder zunichtegemacht.

Viele Bewegungen und Verbündete im globalen Norden haben hart gearbeitet, um an der Seite des globalen Südens gegen unfaire Handels- und Steuerabkommen, die Auslandsverschuldung usw. zu kämpfen, aber ihre Macht ist begrenzt. Ich würde sagen, dass fortschrittliche Bewegungen überall eine doppelte Herausforderung zu bewältigen haben: die Wiederherstellung der Grundlage für soziale Gleichheit im eigenen Land und gleichzeitig die Arbeit für ein ausgewogenes und nichtimperialistisches Weltsystem.

Das Versagen bei der Verwirklichung beider Ziele erklärt das Wiederaufleben rechter Demagogie und anderer fundamentalistischer Strömungen. In dieser zunehmend multipolaren Welt könnten der Panafrikanismus und eine verstärkte Süd-Süd-Zusammenarbeit ein Weg nach vorne sein.

Lassen Sie uns über die Themen sprechen, die Sie auf Ihrer Konferenz behandeln werden. Sie sprechen von «Delinking» also «Entflechtung» oder «Entkoppelung», einer Strategie, die auch Amin propagiert hat. Was ist damit gemeint?

NSS: «Delinking» ist wahrscheinlich eines der am wenigsten verstandenen kritischen Konzepte aus dem globalen Süden. Amin benutzte ihn, um zwei Punkte zu verdeutlichen. Erstens ist ein «Aufholen durch Nachahmung» für den Globalen Süden als Ganzes unmöglich, weil der Entwicklungspfad des Westens (und Japans) auf besonderen historischen und ökologischen Bedingungen beruhte, die nicht überall reproduziert werden können, wie z. B. die Möglichkeit für die Industrie, die riesigen Arbeitskräfte zu absorbieren, die durch die Zerstörung der Bauernschaft in produktiven Arbeitsplätzen freigesetzt wurden, die massenhafte internationale Migration von überschüssigen Arbeitskräften in reiche Länder, die «kostenlose» Kohlenstoffverschmutzung und vieles mehr.

Ausbeutung und Extraktivismus führten zu langjährigen strukturellen Abhängigkeiten, die auch im postkolonialen Raum fortbestehen.

Das bedeutet nicht, dass der Globale Süden «unterentwickelt» bleiben wird. Vielmehr, und das ist der zweite Punkt, muss der Globale Süden sein eigenes Entwicklungsmodell schaffen. Um sich vom kolonialen wirtschaftlichen Erbe zu lösen und einen autonomen Entwicklungspfad einzuschlagen, ist es notwendig, die Beziehungen zwischen den heimischen Volkswirtschaften und dem Weltsystem zu «entkoppeln» und umzukehren.

Das setzt keine «Autarkie» voraus, wie oft angenommen wird. Jedoch ein gewisses Maß an Kontrolle über die Entlohnung der Arbeitskräfte, über Geld und Finanzen, über die heimischen Märkte, über lokale Innovationssysteme und über die Ausbeutung heimischer natürlicher Ressourcen sind alles wichtige Aspekte der «Delinking»-Agenda.

Trotz des jüngsten Geredes über «Deglobalisierung» ist vor allem Europa nicht an einer Entflechtung interessiert, was sich nicht nur in seinem Festhalten an der internationalen Arbeitsteilung, sondern auch in seinen Energieimporten zeigt. Auf der anderen Seite stehen aber die afrikanischen Regierungen – ich denke da an die Pläne vieler Staaten, die Öl- und Gasexporte deutlich zu steigern. Wirkt die aktuelle geopolitische Situation den nationalen Spielräumen für eine sozial-ökologische Transformation entgegen und verstärkt sie das asymmetrische Verhältnis zwischen Afrika und Europa?

Kai Koddenbrock (KK): Ihre Frage wirft eine Reihe von wichtigen Fragen auf. Erstens: Wie asymmetrisch ist das Verhältnis zwischen Afrika und Europa? Zweitens: Wie viel sozial-ökologischer Wandel kann auf nationaler Ebene erreicht werden? Und drittens, welche Art von Allianzen brauchen wir, um dies zu erreichen?

Die Unterwerfung unter die Volatilitäten des Weltmarktes bringt bereits wichtige Hierarchien mit sich, die umso leichter zu handhaben sind, je mehr Staatseinnahmen man im eigenen Land generiert. Wie viel Handlungsspielraum Regierungen im Globalen Süden in der internationalen Arbeitsteilung haben, ist eines der Kernprobleme radikaler Politik seit dem Ende des Kolonialismus. Viele verschiedene Strategien wurden ausprobiert, von Ujamaa in Julius Nyereres Tansania in den 1960er Jahren bis zu Thomas Sankaras Landwirtschafts- und Alphabetisierungskampagnen in den 1980er Jahren, ganz zu schweigen von der anhaltenden Abhängigkeit von Rohstoffexporten wie Coltan und Kupfer in der Demokratischen Republik Kongo, Diamanten in Botswana und Öl in Nigeria, Angola und Algerien.

All diese unterschiedlichen Strategien deuten auf das Kernproblem hin, nämlich das richtige Maß an inländischer Ressourcenmobilisierung und Exporteinnahmen zur Finanzierung von Importen. Die Regierungen hatten dabei immer einen gewissen Spielraum, aber die Rückschläge können brutal sein, wenn eine Weltwirtschaftskrise zuschlägt, der Dollar aufwertet oder beides. Die derzeitige Situation bietet gas-, wasserstoff- oder solarenergieexportierenden Ländern sehr gute Möglichkeiten zur Bildung neuer Kartelle. Die Abhängigkeit vieler Länder von afrikanischen Bodenschätzen sollte so gut wie möglich genutzt werden, während man gleichzeitig aus ihrer ausbeuterischen, zerstörerischen und enteignenden Logik aussteigt.

Angesichts der Klimakrise gibt es keine Alternative zu einem gewissen Maß an Entflechtung und damit «Entglobalisierung», während wir gleichzeitig nach fortschrittlichen Verbündeten sowohl in unseren Ländern als auch in der Region und auf internationaler Ebene suchen müssen, um diese Art von Kartellen aus dem Weg zu räumen. Es versteht sich von selbst, dass man unseren Regierungen nicht trauen kann, fortschrittliche Bündnisse und Bewegungen zu unterstützen. Das Einzige, wozu sie gut sind, ist die Schaffung besserer oder schlechterer Bedingungen für fortschrittliche Veränderungen, aber die Menschen auf den Straßen müssen sie durchsetzen. Diese Art von Druck aufzubauen und aufrechtzuerhalten, ist die größte Herausforderung für die Linke weltweit.

Das zweite große Thema der Konferenz ist die «globale Reparationen». Können Sie ein wenig näher erläutern, was Sie damit meinen?

MBG: Das koloniale Erbe ist die Wurzel der Klimakatastrophe in Afrika. Ausbeutung und Extraktivismus führten zu langjährigen strukturellen Abhängigkeiten, die auch im postkolonialen Raum fortbestehen. Trotz aller Emanzipationsversuche haben viele afrikanische Länder denselben extraktiven und ausbeuterischen Weg eingeschlagen, während einige nur durch die Anhäufung von Einnahmen aus fossilen Brennstoffen in der Lage waren, sich zu entwickeln. Viele andere Länder, denen es an natürlichen Ressourcen mangelt, haben sich auf den Tourismus oder die Schwerindustrie verlassen. Andere waren von den Überweisungen von Migrant*innen abhängig, die im globalen Norden für niedrige Löhne arbeiten.

Darüber hinaus haben die so genannten «Strukturanpassungspläne» und die Verschuldung die Bedingungen für die Ungleichheit reproduziert. In unseren Ländern rückt die Klimakatastrophe nicht näher – sie ist bereits Realität. Ob es sich nun um Menschen handelt, die von Überschwemmungen vertrieben werden, wegen unerträglicher Temperaturen umziehen müssen, oder um Menschen, die Plastikmüll sammeln, um ihn an Fabriken zu verkaufen, und durch Phosphoremissionen getötet werden – die internationale Gemeinschaft kann von diesen Menschen nicht verlangen, dass sie den Übergang zu einem nachhaltigeren Modell schultern, ohne die Verantwortung des globalen Nordens für eine solche Katastrophe anzuerkennen. Wir können uns eine friedliche und nachhaltige Zukunft nicht vorstellen, ohne uns mit der Frage der Wiedergutmachung zu befassen.

Unsere Auffassung von Reparationen ist jedoch umfassender als Geldtransfers zur Entschädigung von Schäden. Es ist mehr als alles andere eine Frage der Gerechtigkeit. Sie sollte einen Schuldenerlass und ein gewisses Maß an Freizügigkeit für Arbeitnehmer*innen beinhalten und im internationalen Recht anerkannt werden. Das wollen wir auf unserer Konferenz diskutieren.

Reparationsforderungen, ob berechtigt oder nicht, stoßen auf verschiedene Probleme. Wie gehen Sie mit der Frage um, wessen Leid wichtiger ist oder wie die Mittel verteilt werden sollen?

MBG: Ich denke, die problematischste Frage ist nicht, wie man die Opfer ins Visier nimmt oder wie man sie entschädigt, sondern vielmehr, wo interne und externe Möglichkeiten bestehen und wo eine Verschiebung des Kräfteverhältnisses erforderlich ist, um diese Wiederherstellung von Gerechtigkeit zu ermöglichen. So forderte beispielsweise die tunesische Kommission für Wahrheit und Würde 2019 von Frankreich, dem IWF und der Weltbank Wiedergutmachung für Menschenrechtsverletzungen und Verstöße gegen wirtschaftliche und soziale Rechte. Diese Wiedergutmachung bestand aus einer Entschuldigung, einer Entschädigung für die Opfer und den Staat sowie dem Erlass der multilateralen Schulden Tunesiens. Außerdem wurde der Begriff der «Opferzonen» eingeführt, die unter systematischer Marginalisierung oder Ausgrenzung leiden. Dies hätte für die demokratische Übergangsregierung eine große Chance sein können, auf der von der Zivilgesellschaft geleisteten Arbeit aufzubauen, anstatt den IWF und die Weltbank um neue Kredite zu bitten, aber die Behörden boykottierten die Arbeit der Kommission, untergruben ihre Glaubwürdigkeit und weigerten sich, ihren Bericht zu veröffentlichen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Frage, wie das internationale Recht genutzt werden kann, um Wiedergutmachung zu erreichen. Können wir uns eine UN-Resolution vorstellen, die Finanzinstitutionen zur Zahlung von Reparationen zwingt, und zwar auf der Grundlage des unabhängigen UN-Sachverständigenberichts über Auslandsschulden und Menschenrechte, in dem argumentiert wird, dass internationale Finanzinstitutionen für Wirtschaftsreformen verantwortlich gemacht werden können, die gegen Menschenrechte und sozioökonomische Rechte verstoßen?

Ohne Organisierung wird sich keine progressive Idee durchsetzen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt der Wiedergutmachung ist der Grundsatz der Nicht-Wiederholung. Die Nichtwiederholung von Strukturanpassungsplänen, die als «nationale Reformen» getarnt sind, würde zahlreichen Ländern in Afrika und dem globalen Süden im Allgemeinen Erleichterung verschaffen. Wie könnte dieser Grundsatz umgesetzt werden? Unser Ziel ist es, von den Erfahrungen der anderen zu lernen, um bessere Strategien zu formulieren und praktische Lösungen für eine gerechtere Zukunft zu diskutieren.

Hängen «Delinking» und die Forderung nach Reparationen zusammen? Schließlich könnte man argumentieren, dass Europa mit dem «Delinking» weiter agieren kann wie bisher, indem es lediglich Transferzahlungen für Dinge wie Anpassung an Klimaschäden leistet.

KK: In Samir Amins ursprünglicher Formulierung bezog sich «Delinking» nicht auf eine vollständige Entkopplung, sondern auf das richtige Maß. Er hielt 70 Prozent für viel, und er war sich bewusst, dass die Entkopplung für ein relativ kleines und armes Land schwieriger sein könnte als für eine große Volkswirtschaft wie China.

Transferzahlungen für die Klimakrise wird es nur geben, wenn es eine neue Bewegung der Blockfreien Staaten und ernsthafte kollektive Maßnahmen des Globalen Südens gibt. Wenn der Druck nicht wesentlich zunimmt, könnte das Einzige, was sich ändert, eine leichte Umschichtung der Hilfsausgaben des UN-Entwicklungsprogramms und anderer Institutionen für Klimaanpassungsprojekte sein.

Was wir brauchen, ist ein automatischer Mechanismus zur Finanzierung der Klimaanpassung, der auf der Logik der Wiedergutmachung beruht. Der Westen und der Norden müssten gezwungen werden, diesen institutionellen Mechanismus einzurichten, der natürlich niemals vom IWF oder der Weltbank mit ihrer US-Dominanz verwaltet werden könnte.

Progressive Wirtschaftspolitik wird von ihren Gegnern oft als naiv oder verschwenderisch dargestellt, während wirtschaftliche Ansätze wie MMT schwer zu vermitteln sind. Zudem scheint es, als würden linke Wirtschaftsansätze nur im mikroökonomischen Rahmen akzeptiert, nie aber auf makroökonomischer Ebene. Wie können wir linken Wirtschaftsideen zu mehr Akzeptanz verhelfen?

KK: Ich denke, das politische und gesellschaftliche Umfeld einer bestimmten Idee spielt eine große Rolle. Nehmen wir die Idee der Gaspreisobergrenze: zuerst belächelt, dann fast einstimmig angenommen – wenn auch noch nicht umgesetzt. Die Frage der Mobilisierung und der Macht der Institutionen ist hier entscheidend. Heterodoxe Wirtschaftsfakultäten gibt es in Deutschland nicht wirklich und kritische politische Ökonomie ist marginal. Wir alle müssen dazu beitragen, ihre Relevanz und ihr Gewicht zu erhöhen, wo immer wir sind.

Ohne Organisierung wird sich keine progressive Idee durchsetzen. Die Kampagne «Deutsche Wohnen und Co. Enteignen» in Berlin ist ein großartiges Beispiel dafür, dass gute progressive Ideen zumindest teilweise durch Organisierung umgesetzt werden. Die üblichen Herausforderungen langfristiger Organisierung gelten dort genauso brutal wie überall sonst auch. Man braucht eine große Anzahl von Menschen, Menschen in Schlüsselpositionen innerhalb von Institutionen und die Macht, Dinge durchzusetzen, wenn die Zeit reif ist.

Ich glaube, wir glauben einfach nicht mehr an die Möglichkeit einer fortschrittlichen Wirtschaftspolitik, denn das, was Mark Fisher als «kapitalistischen Realismus» bezeichnet hat, hat uns schon lange in seinem Griff. Das ändert sich gerade und wird sich noch mehr ändern, wenn die Welt in Flammen aufgeht.

Nach der Konferenz wollen Sie das «African Heterodox Economics Network» gründen. Warum ist dieses Netzwerk notwendig und was erhoffen Sie sich davon?

NSS: Nach der Konferenz werden eine Reihe von Institutionen, darunter der Council for the Development of Social Science Research in Africa, die International Development Economics Associates, die Rosa-Luxemburg-Stiftung und andere, mit Wissenschaftler*innen aus dem In- und Ausland ein Brainstorming zur Gründung dieses panafrikanistischen und internationalistischen Netzwerks zur Förderung der heterodoxen Wirtschaftswissenschaften durchführen.

Die Mainstream-Ökonomie dominiert praktisch überall auf der Welt die Lehre, Forschung und Politikgestaltung. Leider ist dies in Afrika noch stärker der Fall, wie eine aktuelle Studie von Howard Stein zeigt. Afrika braucht jedoch frisches und innovatives wirtschaftliches Denken, um seine zahlreichen Herausforderungen zu bewältigen, und daher ist eine Art erkenntnistheoretischer «Bruch» notwendig. Dies erfordert eine institutionelle Grundlage, engagierte Menschen und Zugang zu Finanzmitteln. Das «African Heterodox Economics Network» wird einen wichtigen Schritt in diese Richtung darstellen.