Mit mehrmonatiger Verspätung präsentierte Svenja Schulze in dieser Woche die neue Afrika-Strategie des von ihr geleiteten Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Wer von einem SPD-geführten Ministerium den großen progressiven Wurf erwartet hatte, wird enttäuscht. Unter dem Titel «Gemeinsam mit Afrika Zukunft gestalten» werden zwar Haltelinien und Schwerpunkte aufgeführt, jedoch kaum strategische Überlegungen angestellt oder neue Interventionen formuliert.
Im Papier werden rhetorisch durchaus einige Pflöcke eingeschlagen. So will man über die Folgen des Kolonialismus reflektieren und «rassistische Strukturen und postkoloniale Kontinuitäten […] vermeiden». Wie das genau aussieht, bleibt jedoch unklar, denn die Floskeln der «Partnerschaft», des «Chancenkontinents» und der «gemeinsamen Werte» finden sich bereits in den vorherigen BMZ-Papieren. Da bestehende Ungleichheitsstrukturen oftmals auf den Kolonialismus zurückgehen, hätte eine historische Darstellung globaler kapitalistischer Ausbeutungs- und Abhängigkeitsverhältnisse dem Dokument und den eigenen Ansprüchen gutgetan.
Wie schon die vorherigen Strategiepapiere besteht auch das neue Dokument weitgehend aus Allgemeinplätzen und bleibt bei einer geradezu schwindlig machenden Aufzählung von Programmen, Projekten und Initiativen stehen. Wie auf der Basis dieser Aufzählung das genannte Ziel, «gemeinsam mit Afrika globale Strukturpolitik zu machen», erreicht werden soll, bleibt schleierhaft. Zugleich besteht die Gefahr, mit all diesen Projekten und Programmen die angestrebte «Partnerschaft auf Augenhöhe» zu konterkarieren; schließlich ist allen klar, wer das Geld einbringt und damit die Oberhoheit bei der Ausgestaltung behält. Schlicht unangenehm ist die paternalistische Selbstpositionierung des BMZ als «Türöffner» für afrikanische Akteur*innen.
Thematische Schwerpunkte
Insgesamt werden sechs thematische Schwerpunkte aufgeführt: (a) Nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung, Beschäftigung und Wandel; (b) Überwindung von Armut und Hunger, Aufbau sozialer Sicherung; (c) Gesundheit und Pandemieprävention; (d) Feministische Entwicklungspolitik und Geschlechtergerechtigkeit, (e) Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Menschenrechte und gute Regierungsführung sowie (f) Frieden und Sicherheit.
Einige dieser Inhalte sind durchaus zu begrüßen, darunter die Stärkung der Menschenrechte, die Inklusion von LGBTQ*-Menschen, die Förderung von Agrarökologie, der Ausbau Erneuerbarer Energien oder der Verweis auf die gewachsene Verschuldung. Aber der Teufel liegt bekanntlich im Detail bzw. in den fehlenden Details: Zwar will das BMZ das «Schuldenmanagement» der betroffenen Staaten verbessern und «inklusive Schuldenrestrukturierung» unterstützen; was sich dahinter aus Sicht des Ministeriums verbirgt, bleibt indes weitgehend spekulativ. Das gilt ähnlich auch für die Ausführungen zu «Migration entwicklungspolitisch und fair gestalten». Diese Passage liest sich ebenfalls gut, bleibt jedoch – da, wie früher, fast ausschließlich über Fachkräfte und Arbeitsmigration gesprochen wird – auf halbem Wege stehen. Hinzu kommt: Das größte Problem in diesem Politikfeld ist der fehlende Wille – und die fehlende Möglichkeit des BMZ, eine migrationsfreundliche Politik auch gegenüber anderen Ministerien (wie dem Bundesministerium des Innern) durchzusetzen. Nicht zufällig hat die Bundesregierung erst im Dezember im EU-Rat zugestimmt, dass die Handelspräferenzen von «Entwicklungsländern» mit der Bereitschaft zur Rücknahme der aus Europa abgeschobenen Migrant*innen verknüpft werden sollen.
Wie bereits erwähnt, strotzt das BMZ-Strategiepapier vor Allgemeinplätzen. Besonders augenfällig wird dies im Schwerpunkt «Überwindung von Armut und Hunger und Aufbau sozialer Sicherung». Nach einer bloßen Aufzählung dessen, wofür sich das BMZ im Bereich landwirtschaftliche Entwicklung einsetzt, endet die entsprechende Passage mit der doch recht banalen Einschätzung, dass das BMZ sich für Ernährungssicherheit engagiere – ohne jedwede Bezugnahme auf die derzeit intensiv geführten Debatten über die Rolle teurer synthetischer Düngemittel, den Export gefährlicher Pestizide, die Marktmacht der Konzerne oder die hohen Lebensmittelpreise. Die eigentliche strategische Frage, wohin denn die Reise gehen soll und welche Form der Agrarwirtschaft dem BMZ eigentlich vorschwebt, bleibt unbeantwortet.
Dem BMZ ist immerhin zugute zu halten, dass es versucht, aus den Fehlern vergangener Jahre zu lernen. Unter «Gesundheit und Pandemievorsorge» etwa ist die Unterstützung des mRNA-Hubs in Südafrika zu begrüßen. Dennoch bleiben wichtige Fragen, wie beispielsweise jene der geistigen Eigentumsrechte, offen. Schließlich hat sich Moderna lediglich verpflichtet, seine Patente nicht durchzusetzen, sofern es um COVID-19-Impfstoffe geht – nicht jedoch, wenn diese Technologie zur Entwicklung anderer Impfstoffe verwendet wird.
Wie jede Strategie gibt sich auch jene des BMZ zukunftsorientiert. Kritische Einschätzungen vergangener oder noch bestehender Ansätze, wie zum Beispiel einer im Verbund mit dem Privatsektor erfolglos vorangetrieben inputorientierten Landwirtschaft, fehlen vollständig, obgleich gerade hier ein Paradigmenwechsel anstünde. Vergeblich sucht man auch selbstgesetzte Standards des BMZ oder Hinweise auf Risiken bei der Umsetzung von Projekten, etwa mit Blick auf den Aufbau einer afrikanischen Wasserstoffproduktion.
Keine Finanzierungsverpflichtungen
Vor allem aber beinhaltet die Strategie keinerlei explizite Finanzierungsverpflichtungen und keine klar definierten Ziele, sondern verharrt oftmals bei Willensbekundungen – auch hier unterscheidet sie sich kaum vom «Marschallplan mit Afrika», der unter Schulzes Amtsvorgänger, Gerd Müller (CSU), entwickelt worden war.
Die viel zitierte «Feministische Entwicklungspolitik» spielt in dem Papier nur eine untergeordnete Rolle. Sie findet sich lediglich als ein Schwerpunkt neben den fünf anderen in der Aufzählung, aber nicht als übergreifendes Querschnittsthema. Auch verbleiben die Aussagen allzu oft in der bestehenden «Geber-Logik» der rein wirtschaftlichen Teilhabe von Frauen und greifen daher patriarchale Machtstrukturen oder das Arbeiten mit Männern – gerade im Kontext reproduktiver Rechte – nicht auf.
Stärker als zuvor wird die Afrika-Strategie in den Kontext der geopolitischen Rivalität gestellt. Aufgrund der wachsenden Einflussnahme Russlands, China und arabischer Staaten sowie der daraus entstehenden Konkurrenz, sieht das BMZ sich gezwungen, «differenzierte und flexible Antworten zu finden». Wie diese aussehen sollen, bleibt allerdings unklar. Insgesamt rutscht das BMZ hier in eine Legitimationsfalle: Zum einen will das Ministerium eine «wertegeleitete Interessenspolitik formulieren», zum anderen aber, für «übergeordnete Interessen», auch mit autokratischen Regierungen zusammenarbeiten. Der offenkundige Widerspruch zwischen diesen beiden politischen Leitplanken wird, jenseits der bloßen Benennung von Zielkonflikten und Werbung für demokratische Teilhabe, nicht adressiert.
Abschließend sei noch auf eine frappierende Leerstelle hingewiesen: Hinweise auf einen Wechsel in der deutschen und europäischen Politik – wie beispielsweise im Rohstoffbereich, in der Klimapolitik oder in der «imperialen Lebensweise» – sucht man in der neuen BMZ-Strategie vergeblich. Bewegen sollen sich einmal mehr nicht wir, sondern die anderen. Damit aber stellt man sich in eine Kontinuität, die doch eigentlich vermieden werden sollte.