Nachricht | Partizipation / Bürgerrechte - Krieg / Frieden - Südliches Afrika Logische Konsequenz: Neuverhandlungen

Das deutsch-namibische «Versöhnungsabkommen» ist völkerrechtlich unzureichend

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«Völkermord verjährt nicht» steht auf dem Transparent von Aktivist*innen während der Protestaktion am 21.03.2019 vor dem Bundestag in Berlin. Eine Anerkennung, Entschuldigung und Entschädigung für die deutschen Verbrechen steht aus Sicht der betroffenen Communities weiterhin aus.  Foto: IMAGO / Markus Heine

Am 24. April 2023 haben sieben Sonderberichterstatter*innen der Vereinten Nationen mit der Veröffentlichung ihrer gemeinsamen Kommunikation mit den Regierungen Deutschlands und Namibias begonnen. Hintergrund waren die Verletzungen des Völkerrechts während der zwischenstaatlichen Verhandlungen über Reparationen für Kolonialverbrechen und durch die sogenannte «Gemeinsame Erklärung» («Joint Declaration»). Die Erklärung wurde im Mai 2021 zwischen beiden Staaten – trotz vorhandener Kritik – paraphiert. Die UN-Rapporteur*innen bestätigen, dass während der Verhandlungen zwischen 2015 und 2021 die Beteiligungsrechte der OvaHerero und Nama – nicht nur in Namibia, sondern auch in der Diaspora – verletzt wurden. Sie stellen klar, dass ihre direkte und effektive Beteiligung durch selbstgewählte Vertreter*innen keine Frage des politischen Ermessens der beiden Regierungen ist, sondern in den Artikeln 11 und 18 der Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte indigener Völker völkerrechtlich garantiert ist. Damit erhalten die Forderungen von zivilgesellschaftlichen Gruppen in Namibia und der Diaspora sowie der aktiven deutschen Solidaritätsszene und aus der Partei DIE LINKE erneute – diesmal völkerrechtlich legitimierte – argumentative Unterstützung in ihren Forderungen nach Neuverhandlungen unter Einbeziehung aller Gruppen der affected communities.

Karina Theurer ist Völkerrechtlerin mit den Schwerpunkten Gender, Transitional Justice und rechtliche Aufarbeitung des Kolonialismus. Sie lehrt Menschenrechtsdurchsetzung an der Humboldt-Universität zu Berlin sowie Dekoloniale Theorie und Praxis an der Bucerius Law School. Seit September 2022 berät sie die Kanzlei Dr. Weder, Kauta & Hoveka im rechtlichen Verfahren gegen die deutsch-namibische Joint Declaration und für Reparationen in allen völkerrechtlichen Fragen.

Andreas Bohne ist Leiter des Afrika-Referats der RLS und engagiert sich seit Jahren im Bündnis «Völkermord verjährt nicht!».

Die in diesem Text geäußerten Ansichten sind die der beiden Autor*innen.

Sowohl die vergangene als auch die gegenwärtige Bundesregierung zog sich auf das bequeme Argument zurück, Regierungsverhandlungen könnten nur zwischen Regierungen stattfinden und in die souveränen Geschicke des namibischen Staates dürfe – jetzt mit dem Verweis, aus der Kolonialherrschaft gelernt zu haben – nicht eingegriffen werden. Das mag stimmen, jedoch nahm die Bundesregierung nie Anstoß daran, dass regierungsnahe Gruppen in Namibia wie der Ovaherero / Ovambanderu Council for the Dialogue on the 1904 Genocide einbezogen wurden. Es wäre für die deutsche Regierung ein zwingendes Gebot gewesen, mit allen Gruppen außerhalb des offiziellen Verhandlungsprozesses in einen offenen Dialog zu treten.

Die UN-Rapporteur*innen stellen mit ihrer Einschätzung sowohl den früheren als auch der gegenwärtigen Bundesregierung ein schlechtes Zeugnis aus. Besonders kritisch ist in dem Zusammenhang das Verhalten des grün geführten Außenministeriums unter Annalena Baerbock, zu sehen. In früheren Anträgen (z.B. Drucksache 19/ 24381 aus dem Jahr 2020) sprachen sich die Grünen noch für eine «inklusive, aktive und unter Beteiligung der von kolonialem Unrecht betroffenen Communities, Gesellschaften und Gruppen» in die Verhandlungs- und Aussöhnungprozesse aus.

Obwohl es weiterhin eine deutliche Ablehnung des sogenannten «Versöhnungsabkommens» auf namibischer Seite gibt – sowohl bei den betroffenen Gemeinschaften als auch im Parlament –, sieht die Bundesregierung keinen Grund für die Aufnahme von Neuverhandlungen. Im Gegenteil, die «Gemeinsame Erklärung» sei «ausverhandelt». Davon zeugt die jüngste Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Partei DIE LINKE. Jetzt würden leidglich nur noch einzelne offene Punkte «nachverhandelt». Die bereits von Beginn an kritisierten Geheimverhandlungen werden so auf Sparflamme weitergeführt.

Die Sonderberichterstatter*innen fordern die deutsche Regierung auf, die rechtliche Verantwortung für die Kolonialverbrechen während der Kolonialherrschaft zu übernehmen und Wiedergutmachung zu leisten. Sie machen deutlich, dass die «Gemeinsame Erklärung» keine wirksamen Wiedergutmachungsmaßnahmen enthält. Auch damit wird das zum Mantra erhobene «wir zahlen keine Reparationen, um weitere juristische Ansprüche abzuwehren» der Bundesregierung konterkariert. Damit werden ebenso die geringen Zahlungen von 1,1 Milliarden Euro über 30 Jahre für entwicklungspolitische Projekte indirekt als unzureichend dargestellt.

Juristische Einschätzungen als Türöffner?

Die Sonderberichterstatter*innen weisen auch auf die Reproduktion des kolonialen Rassismus durch die derzeitige Auslegung des Grundsatzes der Intertemporalität durch die deutsche Regierung hin. Demnach schützte das zu Beginn des 20. Jahrhunderts geltende Kriegsrecht und humanitäre Völkerrecht die OvaHerero und Nama nicht vor der massenhaften Tötung. Sie bekräftigen, dass diese Auslegung des Grundsatzes der Intertemporalität ein Hindernis für Reparationen ist und dass die deutsche Regierung von einer solchen Auslegung absehen sollte.

Die Einbeziehung der Sonderberichterstatter*innen wurde Ende 2022 von den OvaHerero und Nama, sowie von ihren rechtlichen Vertreter*innen angestoßen und ist Bestandteil einer breit angelegten rechtlichen Intervention gegen die weitere Umsetzung der «Gemeinsamen Erklärung», die vom namibischen Anwalt Patrick Kauta geleitet wird. Bereits im Januar 2023 hatte er im Namen von Bernadus Swartbooi und der OvaHerero und Nama eine Klage vor dem namibischen High Court eingereicht, um die «Gemeinsamen Erklärung» als rechtswidrig erklären zu lassen. Auch im Hinblick auf dieses rechtliche Verfahren folgt die Bundesregierung ihrem einfachen eingeschlagenen Weg, die Klage als eine innernamibische Angelegenheit anzusehen. Das mag im juristischen Sinne in gewisser Weise stimmen, sollte aber doch zum Um- und Nachdenken anregen. Denn die deutsche Bundesregierung vertritt innenpolitisch und außenpolitisch zu Recht, dass rechtsstaatliche Grundprinzipien zu den höchsten Rechtsprinzipien zählen. Wäre es dann nicht folgerichtig, jegliche Umsetzung der «Gemeinsamen Erklärung» auszusetzen, bis der namibische High Court sich zur Rechtmäßigkeit der Vereinbarung geäußert hat?

Am 12. April beantragte die deutsche Regierung eine Verlängerung der Frist, um auf die Schreiben der Sonderberichterstatter*innen zu antworten. Jetzt soll bis zum 8. Mai 2023 reagiert werden. Die Bundesregierung begründete den Schritt damit, dass die Beantwortung der rechtlichen Fragen die Zusammenarbeit mehrerer Ministerien erfordere und dies länger dauern würde. Es bleibt abzuwarten, wie sie reagieren und rechtlich argumentieren wird. Die namibische Regierung reagierte bisher nicht offiziell auf das an sie gerichtete Schreiben.

Die Doppeldeutigkeit der «Vermessenheit» bis heute

Wäre es nicht an der Zeit, Versteckspiele hinter Zuweisungen von Verantwortung an andere zu beenden und eigene Verantwortung zu übernehmen? Vor einem Monat startete in Deutschland der Film «Der Vermessene Mensch» (Englisch: 'Measures of Men'). Die im Kinofilm angelegte Annäherung an den an OvaHerero und Nama verübten Völkermord zwischen 1904 und 1908 handelt von einem jungen deutschen Wissenschaftler, der wusste, dass er mit seinen rassekundlichen Forschungen und konkret, mit dem Raub von Schädeln während des Völkermords dabei war, etwas zu tun, was ethisch nicht richtig war. Dennoch tat er es weiterhin – sei es aus mangelndem Rückgrat oder aus einem Gefühl heraus, er allein könne ja ohnehin nichts am Gesamtgeschehen ändern. Trotz berechtigter Kritik, u.a. zur Rolle Schwarzer Schauspieler*innen, ist es richtig und wichtig, dass der Film «Der vermessene Mensch» in die deutschen Kinos kommt, um koloniale Gräuel zu thematisieren und in den «Mainstream» einzuführen. Ärgerlicher ist, dass der Filmstart kaum genutzt wird, um die oben angesprochene gegenwärtige unzureichende Anerkennung und fehlende politische Aufarbeitung des Völkermordes durch die deutsche Bundesregierung zu thematisieren. Daher bleibt es zu hoffen, dass die Zuschauenden von ihrer Regierung einfordern, was sie wahrscheinlich von der Hauptfigur im Film erwartet hätten: etwas mehr Rückgrat und Mut, scheinbar unbequeme Realitäten anzunehmen und damit umzugehen. Auch das wäre Bestandteil einer wertegeleiteten Außenpolitik.

Was wir jedoch im Moment sehen, sind nur kleine Schritte von einer kolonialen Amnesie, der Nichtbeachtung der deutschen Kolonialvergangenheit hinzu einer kolonialen Aphasie, einem gefilterten, selektiven Verständnis und Anerkennung. Für eine wirkliche Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit wären Neuverhandlungen einer der maßgeblichen Schritte.