Nachricht | Geschichte Das Scheitern der Thüringer Arbeiterregierung

Der Abbruch der demokratischen Entwicklung in Thüringen im Winter 1923/24

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Das schnelle Ende der Mitte Oktober 1923 gebildeten Arbeiterregierungen in Sachsen und Thüringen gehörte zweifellos zu den dramatischen Höhepunkten des Krisenjahrs 1923. Infolge des von der deutschen Reichsregierung ausgerufenen passiven Widerstands gegen die Besetzung des Ruhrgebiets durch französische und belgische Truppen Anfang 1923, die auch durch die Nichteinhaltung der zuvor von Deutschland übernommenen Reparationsverpflichtungen provoziert worden war, geriet die junge Weimarer Republik erneut in eine existenzielle Krise. Die Hyperinflation und das mit ihr verbundene Massenelend sowie der massive Zulauf zu den rechtsextremistischen/faschistischen Gruppierungen und deren geheime Aufrüstung durch die Reichswehr gefährdeten zunehmend den Bestand der Demokratie. Sie zu beseitigen war das Ziel sowohl der schwerindustriellen Kreise um den Inflationsgewinner Hugo Stinnes, des führenden Generals der Reichswehr Hans v. Seeckt, des Münchener Triumvirats Gustav von Kahr, Hans von Seißer und Otto von Lossow als auch Adolf Hitlers an der Spitze der völkisch-rechtsextremistischen Kampfverbände. Gerettet wurde die Weimarer Demokratie letztlich nicht durch die Stärke ihrer republikanischen Verteidiger, sondern infolge der Uneinigkeit ihrer rechten/rechtsextremen Gegner, die im gescheiterten Putschversuch Adolf Hitlers am 8./9. November 1923 in München kenntlich wurde.

Mario Hesselbarth ist Historiker und ehrenamtlicher Mitarbeiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung Thüringen.

Die Führung der Kommunistischen Internationale (KI) hatte im Sommer 1923 in der Krise der Weimarer Republik und deren vermeintlich revolutionierender Wirkung auf die Massen, so am Antifaschistentag am 29. Juli 1923 und während des Cuno-Streiks[1]  Mitte August 1923, eine Chance sehen wollen, der 1918/19 stecken gebliebenen proletarischen Weltrevolution einen neuen Impuls zu geben. In dem von ihr geplanten »Deutschen Oktober«, der eine Abkehr von der zwei Jahre zuvor beschlossenen Einheitsfrontpolitik und damit eine Rückkehr zur 1921 in Deutschland gescheiterten Offensivstrategie bedeutete, kam den in Sachsen und Thüringen gebildeten Arbeiterregierungen eine Schlüsselrolle zu. Es ist dieser Aspekt, der ihre nachfolgende Darstellung prägte und offenkundig auch weiterhin bestimmt[2] , wobei den Geschehnissen in Sachsen aufgrund der Reichsexekution vom 29. Oktober und deren Konsequenzen für die weitere Entwicklung in Deutschland stets die größere Aufmerksamkeit zukommt als den Vorgängen in Thüringen.

Wird indes der Blick über das Krisenjahr 1923 geweitet und der gesamte Zeitraum zwischen 1920 bis 1923 und darüber hinaus betrachtet, zeigen sich mit der Arbeiterregierung in Thüringen sowie ihrer Vor- und Nachgeschichte erstens die Chancen und Möglichkeiten kommunistischer Einheitsfrontpolitik und linksrepublikanischer Reformpolitik, mit der die Thüringer Sozialdemokratie eine wirkliche Alternative zur Koalitionspolitik der SPD auf Reichsebene praktizierte.

Zweitens werden zugleich die Grenzen dieser beiden Politikansätze sichtbar, die ihnen im Fall der Einheitsfrontpolitik durch ihre inneren Widersprüche und bezüglich der linksrepublikanischen Reformpolitik durch ihre regionale Begrenztheit und mangelnde Unterstützung seitens der eigenen Parteiführung auf Reichsebene gezogen wurden.

Drittens schließlich zeigen sich die dramatischen Konsequenzen des Abbruchs der 1920 begonnen Reformpolitik für die Weimarer Demokratie und die Entwicklung in Thüringen selbst.

Weiterlesen im PDF. Der Artikel erschien zuerst in Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Heft 135. Wir bedanken uns herzlich für die Erlaubnis zur Online-Publikation.


[1] Streikwelle im August 1923 gegen die Regierung des Reichskanzlers Wilhelm Cuno, die sich aus DDP, Zentrum, DVP und BVP zusammensetzte. Cuno selbst war parteilos.

[2] Ullrich, Volker: Deutschland 1923. Das Jahr am Abgrund. München 2022. S.139-170.