Kommentar | Rassismus / Neonazismus - Südliches Afrika Fremdenfeindlichkeit und sozialer Zusammenhalt in Südafrika

Im Vorfeld der Wahlen 2024 entladen sich wirtschaftliche Sorgen zunehmend in rassistischer Gewalt

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Demonstration gegen Xenophobie in Kapstadt, Südafrika.
Demonstration gegen Xenophobie in Kapstadt, Südafrika, 04.03.2017. Foto: IMAGO / Gallo Images

Am 31. August 2023 kamen bei einem verheerenden Brand in einem besetzten fünfstöckigen Wohnhaus im zentralen Geschäftsviertel von Johannesburg mindestens 77 Menschen ums Leben. Unter den Toten waren fünf Kinder und 43 weitere Menschen wurden verletzt. Es wäre zu erwarten gewesen, dass nach diesem Brand, den die Behörden als eine der schlimmsten Tragödien des Landes bezeichneten, das Ausmaß der Zerstörung im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit steht.

Fredson Guilengue ist Projektmanager der Rosa-Luxemburg-Stiftung im Büro Johannesburg.

Nach der Katastrophe forderte der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa eine Untersuchung der Ursachen, woraufhin die Provinzregierung von Gauteng eine Untersuchungskommission einsetzte. In Südafrika gibt es das Phänomen der sogenannten «gekaperten» Gebäude – das sind leerstehende Häuser, die von mittellosen Menschen besetzt und größtenteils von Gangs kontrolliert werden. Oft sind sie die einzige Möglichkeit für mittelose Südafrikaner*innen und Schwarze Einwander*innen, ein Dach über dem Kopf zu finden. Einer Quelle, die sich auf die Regierung beruft, zufolge gibt es in Südafrika 450 solcher Gebäude, 57 davon in Johannesburg. Rund 2 Millionen Menschen stehen auf der Warteliste für staatlich geförderten Wohnraum, während 13,9 Prozent der Bevölkerung in informellen Behausungen leben.

Doch anstatt den tragischen Verlust von Menschenleben bei dem Brand zu betrauern oder auf die sozialen Bedingungen zu verweisen, die so viele Menschen dazu zwingen, in «gekaperten» Gebäuden zu leben, erklärte die südafrikanische Präsidialministerin, Khumbudzo Ntshavheni, gegenüber News24, dass es nicht in der Verantwortung der Regierung liege, «illegalen Einwander*innen» Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Sie fügte hinzu, dass «die meisten Menschen, die sich in den gekaperten Gebäuden aufhalten oder darin wohnen, keine Südafrikaner*innen sind und sich nicht legal im Land aufhalten», und dass «die Regierung illegalen Einwander*innen keinen Wohnraum zur Verfügung stellen kann». Diese Äußerung steht im Widerspruch zu einer Verfassungsbestimmung, die den Anspruch auf angemessenen Wohnraum in Südafrika als Menschenrecht festschreibt und macht dieses Recht offenbar vom rechtlichen Status einer Person im Land abhängig. Ntshavhenis Worte spiegeln den wachsenden Trend in Südafrika wider, Migrant*innen aus anderen afrikanischen Ländern für die schlechte wirtschaftliche Lage des Landes verantwortlich zu machen und zu versuchen, sie aus Südafrika zu vertreiben.

Fremdenfeindliche Ausschreitungen in Südafrika

Die fremdenfeindliche Rhetorik und aktive Gewalt gegen Schwarze afrikanische Migrant*innen stellen eine der größten Bedrohungen des sozialen Zusammenhalts im Post-Apartheid-Südafrika dar, die allerdings von der Politik ignoriert wird. In den kommenden Monaten werden fremdenfeindliche Äußerungen und Gewalt wahrscheinlich noch zunehmen, da das Land vor wichtigen Wahlen steht, die für den regierenden Afrikanischen Nationalkongress (ANC) eine Zeitenwende einleiten. Beobachter*innen gehen davon aus, dass der ANC zum ersten Mal unter die 50-Prozent-Hürde fallen und damit gezwungen sein wird, sich für die Regierungsbildung nach möglichen Koalitionspartner*innen umzusehen. Sieben Oppositionsparteien haben sich bereits auf eine «Mehrparteiencharta» geeinigt und angekündigt, einer solchen Koalition nicht beizutreten.

Seit geraumer Zeit kommt es in Südafrika regelmäßig zu Übergriffen auf Schwarze afrikanische Migrant*innen, was eine erhebliche Bedrohung für die innenpolitische Stabilität und die sozioökonomische Entwicklung darstellt. Dennoch bleibt das Land eines der wichtigsten Zielländer für Migrant*innen auf dem gesamten Kontinent. Migrationsforscher*innen gehen davon aus, dass in Südafrika 4,2 Millionen Immigrant*innen leben, was 7,2 Prozent der Gesamtbevölkerung entspricht. Die Nettomigration ist seit 2019 um insgesamt 2,5 Prozent gestiegen. Etwa 80 Prozent dieser Zuwanderer*innen sind Schwarze Binnenmigrant*innen, viele aus Nachbarländern wie Mosambik, Simbabwe und Malawi, die auf der Suche nach besseren wirtschaftlichen Möglichkeiten nach Südafrika kommen.

Entgegen den allgemeinen Erwartungen haben das Ende des Apartheidsystems und die Gründung der Republik Südafrika als «Regenbogennation», wie Nelson Mandela sie nannte, nicht zur Akzeptanz Schwarzer Menschen aus anderen Teilen des Kontinents oder aus Nachbarländern geführt, die einst Verbündete im Kampf gegen «Rassentrennung» und weiße Vorherrschaft waren. Ganz im Gegenteil bringen in der Regenbogennation bestimmte südafrikanische Gruppen  Schwarzen Migrant*innen Hass und Verachtung entgegen und greifen zuweilen sogar zu extremen Formen der Gewalt wie etwa Menschen zu Tode zu brennen.

Angesichts dieses Paradoxons fragen sich viele, warum Schwarze Südafrikaner*innen nach der mühsam erlangten Freiheit anderen Schwarzen Afrikaner*innen keine Akzeptanz entgegenbringen. Noch grundsätzlicher wird der bisherige Umgang des regierenden ANC mit der Einwanderungsthematik hinterfragt. Womöglich hat Mandela den tief verwurzelten Ressentiments gegenüber Ausländer*innen, die aufgrund des weit verbreiteten und langjährigen Einsatzes von Wanderarbeiter*innen im Bergbau und anderen arbeitsintensiven Sektoren in den Köpfen der Menschen entstanden sind, in seiner Vision nicht genug Beachtung geschenkt. Die Idee des südafrikanischen Exzeptionalismus, also der Vorstellung, das Land sei anderen afrikanischen Ländern sowohl wirtschaftlich als auch sozial überlegen, befeuert eine zunehmend toxische Atmosphäre, die zusätzlich durch die sich verschlechternde wirtschaftliche Lage und die gebrochenen Versprechen des ANC, nach dem Ende der Apartheid schnell für Wiedergutmachung und eine Umverteilung des Reichtums zu sorgen, verschärft wird.

Schuld sind die «Anderen»

Migrant*innen werden in Südafrika regelmäßig als Sündenböcke für alle möglichen sozialen Probleme herangezogen. Sie werden beschuldigt, Drogen ins Land zu bringen, Polizist*innen zu bestechen, Hexerei zu praktizieren, an Raub- und Gewaltverbrechen beteiligt zu sein, Südafrikaner*innen die Arbeitsplätze wegzunehmen, Südafrikanern die Frauen wegzunehmen, sich Sozialleistungen zu erschleichen und der Gesellschaft Schaden zuzufügen.

Arbeitslosigkeit ist nach wie vor ein massives Problem in Südafrika. Nach den jüngsten offiziellen Statistiken sind 33 Prozent der Bevölkerung arbeitslos, das ist fast die Hälfte der Bürger*innen im erwerbsfähigen Alter. Im Jahr 2022 lebten schätzungsweise 62,6 Prozent der Bevölkerung an oder unterhalb der Armutsgrenze, und Südafrika zählt weiterhin zu den Ländern mit dem weltweit höchsten Grad an Ungleichheit. Schwarze Südafrikaner*innen sind davon überproportional stark betroffen: 64 Prozent von ihnen gelten als arm. Bei Menschen indischer und asiatischer Abstammung liegt der Armutsanteil bei 6 Prozent, bei Weißen sogar nur bei 1 Prozent. Doch anstatt wirksame Maßnahmen zu ergreifen, die diesem Trend entgegenwirken, wälzen die Regierung und die politischen Parteien die Schuld wie gewohnt lieber auf das schwächste Glied in der Kette ab – die Migrant*innen.

ANC-Generalsekretär Fikile Mbalula hat einmal öffentlich behauptet, Migrant*innen seien mitverantwortlich für die hohe Arbeitslosigkeit in Südafrika. Opportunistischen und populistischen Nationalist*innen gingen solche Äußerungen nicht weit genug, weshalb sie die Bürgerwehr «Operation Dudula» gründeten, die vorgibt, die Regierung in ihrem Kampf gegen illegale Einwanderung zu unterstützen.

Obgleich die Dudula-Bürgerwehr bestreitet, zu Gewalt aufzurufen, hat ihre Rhetorik und die anderer fremdenfeindlicher Organisationen zur Folge, dass Schwarze Migrant*innen ständigen Schikanen ausgesetzt sind. Oft kommt es zu Überfällen auf ihre Geschäfte, zu körperlichen Angriffen und in einigen Fällen sogar Mord. Kürzlich wurden bei Protesten lokaler Lkw-Fahrer*innen gegen die Rekrutierung von ausländischen Fahrer*innen mindestens 21 Lastwagen in Brand gesetzt.

Seit dem Übergang zur Demokratie im Jahr 1994 wurden insgesamt 1.028 fremdenfeindliche Vorfälle registriert, bei denen 659 Menschen ums Leben kamen. Dieses Jahr kam es bisher zu 31 Vorfällen, was im Gegensatz zu letztem Jahr (110 Vorfälle) wenig scheinen mag. Doch könnte diese Zahl mit dem Näherrücken der Wahlen dramatisch ansteigen.

Wie viele andere Länder, etwa Deutschland, begegnet die südafrikanische Regierung der zunehmenden Fremdenfeindlichkeit mit strengeren Gesetzen, anstatt die Ursachen für fremdenfeindliche Vorurteile und Gewalt anzugehen. So hat sie 2014 durch eine Erweiterung des Einwanderungsgesetzes die Visa-Regelungen verschärft, eine umfassende Überprüfung des Einwanderungssystems angeordnet, im Jahr 2022 eine neue Behörde zur Grenzkontrolle geschaffen (Border Management Authority - BMA) und es selbst für hochqualifizierte Migrant*innen fast unmöglich gemacht, legal in Südafrika zu arbeiten. Hinzu kommen noch die enormen Verzögerungen bei der Beantragung von Visa und Genehmigungen beim Innenministerium des Landes.

Im Zuge der Kommunalwahlen 2021 wurde die Politisierung des Themas Migration besonders deutlich, als sich verschiedene Parteien, vor allem rechtsgerichtete Formationen wie die Patriotische Allianz und Action SA, die der ehemalige Bürgermeister von Johannesburg, Herman Mashaba, im August 2020 gegründet hatte, einwanderungsfeindlicher Parolen bedienten. Da diese Parteien 2021 ein vergleichsweise gutes Ergebnis erzielten, ist davon auszugehen, dass deren Rhetorik im Vorfeld der Wahlen 2024 über das rechte Lager hinaus Verbreitung finden wird.

Die Regierungspartei war sich in der Migrationsfrage bisher uneins. Während einige den Anstieg der Fremdenfeindlichkeit verurteilen, unterstützen andere die rechte Rhetorik und Bewegungen wie Dudula. Dieses politische Versagen ist beschämend, zumal die Partei einst den Kampf gegen die Apartheid anführte und enge Verbindungen zu nationalen Befreiungsbewegungen auf dem ganzen Kontinent und darüber hinaus unterhielt.

Das Erbe der Apartheid

Der Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit in Südafrika ist kein leichtes Unterfangen. Da Fremdenfeindlichkeit im Wesentlichen ein soziales Phänomen ist, erfordert das Verständnis ihrer Wurzeln eine neue Sichtweise auf das Konzept von «race» und «race relations», nicht zuletzt in einem Land, dessen Geschichte stark von Rassifizierung und Kolonialismus geprägt ist. Um Rassismus und die damit zusammenhängende Intoleranz zu bekämpfen, muss Südafrika das Thema Fremdenfeindlichkeit womöglich mit einem Fokus auf «schwarzen» Rassismus angehen, wie es Hashi Kenneth Tafira kürzlich in seinem Buch Xenophobia in South Africa: A History getan hat.

Tafira zufolge ist der Rassismus innerhalb der Schwarzen Bevölkerung in Südafrika eine Form des Rassismus, die aus dem tief verwurzelten Gefühl der Minderwertigkeit und der Kategorisierung als «Rasse» hervorgeht, die das Apartheidregime Schwarzen Südafrikaner*innen eingepflanzt hat, um sie der weißen Bevölkerung unterzuordnen und sein System der «Rassentrennung» zu etablieren. Fremdenfeindlichkeit als eine Form des Rassismus zu benennen, könnte den erforderlichen transformativen Charakter entfalten, um Xenophobie als zentrale Bedrohung des sozialen Zusammenhalts in Südafrika in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu rücken. Wenn bereits Konsens darüber besteht, dass Rassismus ein Übel ist, das es zu bekämpfen gilt, dann wird das Verständnis von Fremdenfeindlichkeit als eine Form von Rassismus von demselben Konsens getragen und von antirassistischen Initiativen profitieren.

Immigrant*innen machen weniger als 10 Prozent der Gesamtbevölkerung Südafrikas aus. Die Behauptung, es gäbe zu viele von ihnen im Land, ist schlichtweg falsch. Alle Teile der südafrikanischen Gesellschaft, insbesondere progressive Politiker*innen, müssen sich dieser Aussage energisch entgegenstellen. Dabei gilt es, das Erbe der Vergangenheit zu überwinden. Im Zuge des Kolonialismus, «der großen historischen Tragödie» (Aimé Césaire), und insbesondere während der Apartheid wurde den «Weißen» nicht nur eine überlegene Position zugeordnet, sondern es wurde auch die Vorstellung vermittelt, dass Schwarze Immigrant*innen in Bezug auf Kultur und Herkunft minderwertig seien, so wie auch die Schwarzen Südafrikaner*innen.

Eine weitere Strategie zur Bekämpfung der Fremdenfeindlichkeit, derer sich der ANC sehr wohl bewusst ist, ist die Schaffung von Arbeitsplätzen. Insbesondere die Jugendarbeitslosigkeit muss dringend angegangen werden. Doch mit der Schaffung von Arbeitsplätzen ist es nicht getan. Die Politik in Südafrika muss den Menschen, in deren Köpfen die Apartheid noch präsent ist, Arbeitsplätze bieten, mit denen sie ihre Würde bewahren können. Früher durfte die einheimische Bevölkerung nur niedere Tätigkeiten ausüben, etwa als Gärtner*innen, Kellner*innen, Schreiner*innen, Elektriker*innen oder Träger*innen. Es ist verständlich, dass viele Schwarze Südafrikaner*innen sich weigern, dieselben Berufe auszuüben, die einst den ihnen zugeordneten  minderwertigen sozialen und kulturellen  Status reflektierten. Es müssen Anstrengungen unternommen werden, um die Qualifikationen und Kompetenzen der einheimischen Bevölkerung in Bereichen wie IT, Ingenieurwesen und Medizin zu fördern, schließlich herrscht im Land noch immer ein massiver Fachkräftemangel.

Wenn die südafrikanische Regierung nicht erkennt, wie wichtig die Bekämpfung der Fremdenfeindlichkeit für den sozialen Zusammenhalt und die sozioökonomische Entwicklung ist, riskiert das Land eine Zukunft, die von dauerhaften sozialen Spannungen und sich wiederholenden Aufständen und Morden an Ausländer*innen gekennzeichnet ist. Auch Phasen der Ruhe können dann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Gewalt sich über die Institutionen schleichend fortsetzt. Um den Zerfall der Nation zu verhindern, müssen alle Südafrikaner*innen zusammenhalten, Einheimische wie Immigrant*innen.

Übersetzung von Cornelia Gritzner und Sabine Voß für Gegensatz Translation Collective