Seit Jahren herrschen in der nordmosambikanischen Provinz Cabo Delgado, weitgehend unbemerkt von der Weltöffentlichkeit, bürgerkriegsähnliche Zustände. Alles begann damit, dass eine Gruppe radikaler Muslime, die die Einführung der Scharia forderten, im Oktober 2017 örtliche Polizeistationen angriff. Diese Gruppe, die sich selbst «al-Shabaab» nennt und vor Ort als «Mashababos» bekannt ist, wird auch als «Islamischer Staat in Mosambik» (IS-Mosambik) bezeichnet, weil sie dem sogenannten IS vor einigen Jahren die Treue schwor.
Höhepunkte der dschihadistischen Gewalt waren Angriffe auf strategisch wichtige Orte wie den Hafen von Mocimboa, der im August 2020 erobert wurde, und die zeitweilige Einnahme der Stadt Palma im März 2021. Die bewaffneten Konflikte haben darüber hinaus zu Vertreibungen geführt; zeitweilig befanden sich bis zu 800.000 Menschen auf der Flucht, derzeit sind es noch rund 100.000.
Fredson Guilengue ist Projektmanager der Rosa-Luxemburg-Stiftung im Büro Johannesburg.
Andreas Bohne arbeitet im Afrikareferat der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Zwischenzeitlich sah es so aus, als könnten die bewaffneten Akteure durch den Einsatz mosambikanischer und ausländischer Sicherheitskräfte zurückgedrängt werden. Im August 2023 töteten Regierungstruppen dann den Anführer der al-Shabaab, Bonomade Machude Omar. Dennoch vergeht seit Beginn dieses Jahres kaum ein Tag ohne Meldungen über Angriffe auf Dörfer, die abgebrannte Wohngebäude, Schulen und Kirchen zurücklassen.
Die Ursachen des Konflikts in Cabo Delgado sind vielschichtig, es lassen sich mehrere Faktoren identifizieren. Erstens haben sich Teile der muslimischen Bevölkerung in der Region seit den frühen 2000er Jahren radikalisiert. Der religiöse Extremismus wird allerdings überlagert durch ethnische Spannungen bzw. Rivalitäten zwischen den Mwani und den Makonde. Letztere gelten als privilegiert; dass der in der weit entfernten Hauptstadt Maputo regierende Präsident, Filipe Nyusi, ein Makonde ist, verstärkt diesen Eindruck.
Hinzu kommt ein weiterer Faktor, nämlich die ökonomische und soziale Marginalisierung von Cabo Delgado. Sie existierte bereits während der portugiesischen Kolonialherrschaft und setzte sich auch nach der mosambikanischen Unabhängigkeit 1975 fort. Trotz grassierender Armut erreichen Aufmerksamkeit oder gar Zuwendungen aus Maputo die im peripheren Norden gelegene Provinz nur äußerst spärlich.
Afrikas größtes Gasvorhaben
Dennoch ist Cabo Delgado in den letzten Jahren zunehmend ins Visier großer Konzerne geraten. Denn in der Provinz stießen Prospektoren im Jahr 2009 auf gigantische Erdgasvorkommen, was Begehrlichkeiten beim italienischen ENI-, dem US-amerikanischen ExxonMobil- und dem französischen TotalEnergies-Konzern weckte. TotalEnergies und seine Partner gaben dann 2019 bekannt, bis zu 20 Milliarden Dollar in die Erschließung und Förderung des Gases investieren zu wollen – damit handelt es sich um eines der größten Investitionsprojekte auf dem afrikanischen Kontinent.
Um den Wünschen des Total-Konzerns zu entsprechen, richtete die mosambikanische Regierung in Cabo Delgado eine Sonderzone ein und erteilte eine Landkonzession über mehr als 6.000 Hektar. Auf dieser Fläche werden Flughafen, Hafen und Infrastruktur errichtet. Zugleich führte das von der ortsansässigen Bevölkerung ohnehin mit Argwohn betrachtete Investitionsprojekt auf diese Weise zur Vertreibung Hunderter Familien von ihrem Land, was wiederum das Gefühl der Marginalisierung verstärkte – ein weiterer Treiber der Gewalt.
Mit dem Gasprojekt nahmen nicht nur die sozialen Konflikte zu, sondern auch die Militarisierung – schließlich verlangt der Total-Konzern Sicherheit für seine Großinvestition. Die mosambikanischen Streitkräfte sind in der unmittelbaren Umgebung des Total-Projekts mit drei Stützpunkten vertreten. Dennoch setzte das Unternehmen nach dem erwähnten Angriff auf Palma seine Arbeiten aus. Derzeit strebt es nach eigenen Angaben die Wiederaufnahme des Gasprojektes bis Ende des Jahres an.
Kritik an Total gibt es aber nicht nur aufgrund der forcierten Militarisierung bzw. der militärischen Abschirmung ihres extraktivistischen Projekts. Im Oktober 2023 reichten Überlebende und Angehörige der Opfer des Anschlags in Palma eine Zivilklage wegen Fahrlässigkeit und unterlassener Hilfeleistung gegen den Konzern ein. Während dieses Angriffs hatte das Militär sich nämlich auf die Standorte der Gasprojekte konzentriert, sodass viele Zivilist*innen ungeschützt blieben. Einigen war sogar die Flucht auf das militärisch geschützte Gebiet verweigert worden. Anfang Mai dieses Jahres wurde bekannt, dass die französische Staatsanwaltschaft in dieser Sache gegen TotalEnergies ermittelt.
Ausländische Militärmissionen
Da die mosambikanische Regierung Gewalt und Terror in der Provinz nicht in den Griff bekam, heuerte sie zunächst militärische Auftragnehmer, vor allem russische und südafrikanische Söldner, an. Nachdem diese ebenfalls gescheitert waren, ersuchte man das Ausland um Unterstützung. Seit Juli 2021 ist die Mission der «Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrikas» (SADC) unter dem Namen SAMIM (SADC-Mission in Mozambik) vor Ort. Da deren Mandat in Kürze ausläuft, begann in den letzten Wochen der Abzug der SAMIM-Truppen aus Cabo Delgado.
Zu den Gründen des Abzugs gibt es unterschiedliche Erklärungen: Während die mosambikanische Außenministerin Veronica Macamo behauptete, SAMIM leide unter Finanzierungsengpässen, erklärte Filimão Suaze, der Sprecher des mosambikanischen Ministerrats, SAMIM verlasse das Land, weil es seine Aufgabe erfüllt habe. Da die Aktivitäten der Aufständischen seit Januar wieder zunehmen, scheint letzteres indes eine bloße Schutzbehauptung zu sein. Plausibler erscheint eine dritte Interpretation, derzufolge die Spannungen zwischen der mosambikanischen Regierung und der SADC zugenommen haben, weil die beteiligten Staatschefs der SADC mit der Entsendung ruandischer Truppen nach Cabo Delgado nicht einverstanden waren.
Und in der Tat: Bleiben werden – neben südafrikanischen und tansanischen Truppen, die außerhalb der SAMIM-Mission im Land sind – lediglich ruandische Soldaten. Ruanda hat 3.500 Mann vor Ort, die seit Beginn des Abzugs der SAMIM-Mission um weitere 2.000 Soldaten aufgestockt wurden.
Kigali verfolgt mit seinem Engagement eigene Interessen. Vor allem strebt das Land unter seinem autokratischen Präsidenten, Paul Kagame, eine geopolitisch bedeutsamere Stellung im östlichen und südlichen Afrika an. Kritiker*innen mutmaßen zudem, dass Kagame durch das Engagement von seiner Rolle im ostkongolesischen Bürgerkrieg ablenken will. Und drittens nimmt das Land ruandische Dissident*innen ins Visier und benötigt dazu das Wohlwollen der mosambikanischen Behörden. Tatsächlich ratifizierte das mosambikanische Parlament Ende Februar ein umstrittenes Auslieferungsabkommen mit Ruanda. Trotz der Zusicherungen der Justizministerin, Helena Kida, dass keine Dissident*innen ausgeliefert würden, bestehen große Ängste unter ruandischen Flüchtlingen in Mosambik, die ebendies befürchten.
Offensichtlich streben Mosambik und Ruanda enge Beziehungen an. Präsident Nyusi besuchte im Juni – zusammen mit Daniel Chapo, dem Kandidaten der Regierungspartei Frelimo für die Präsidentschaftswahl im Oktober – heimlich Kigali. Bereits Wochen zuvor war er dort mehrfach mit Kagame zusammengetroffen. Bei zwei dieser Treffen zugegen war auch der Geschäftsführer von TotalEnergies, Patrick Pouyanné, bei einem weiteren der Chef von ENI, Claudio Descalzi. Hier überschneiden sich offenkundig unterschiedliche Interessen.
Um die mosambikanischen Streitkräfte bei der Bekämpfung von Gewalt und Terror zu unterstützen, bewilligte die EU im Juli 2021 die Trainingsmission EUTM Mosambik. Mit dieser werden Einheiten der mosambikanischen Streitkräfte ausgebildet, die inzwischen Teil der «Schnellen Eingreiftruppen» sind. Beteiligt sind 119 Militärangehörige aus 13 Mitgliedstaaten, davon mehr als die Hälfte aus der ehemaligen Kolonialmacht Portugal. Außerdem hat die EU die mosambikanischen Streitkräfte mit 89 Millionen Euro unterstützt.
Anfang dieses Jahres bat die mosambikanische Regierung die EU um eine Fortsetzung der Trainingsmission, Mitte Mai entschied der EU-Rat, das Mandat bis zum 30. Juni 2026 zu verlängern. Die Verlängerung geht einher mit einer Änderung: Denn der Rat hat auch den Übergang der Mission von einem Ausbildungs- zu einem Unterstützungsmodell gebilligt, das Beratung, Betreuung und Spezialausbildung zur Unterstützung der Schnellen Eingreiftruppen der mosambikanischen Streitkräfte kombiniert. Diese strategische Neuausrichtung zeichnet sich in einer namentlichen Änderung ab – aus der «Trainings»- wird jetzt eine «Militärische Unterstützungs-Missiond (EUMAM Mosambik). Aber nicht nur das: Nach einer aktuellen Meldung von Bloomberg könnte die EU auch ihre Unterstützung für die ruandischen Truppen ausbauen. Ein Vorschlag sieht vor, dass Brüssel 40 Millionen Euro für Ausrüstung und Lufttransporte der ruandischen Verteidigungskräfte bereitstellt.
Die große Ungewissheit
Die humanitäre Situation in Cabo Delgado ist überaus prekär. Das Welternährungsprogramm bemängelte wiederholt die steigenden Nahrungsmittelpreise. Hinzu kommt, dass starke Regenfälle im April für Lebensmittelknappheit sorgten, da Straßen und Brücken nicht für die Verteilung von Nahrungsmittelhilfe genutzt werden konnten.
Zwischen den verschiedenen Gewaltakteuren – islamistischen Kräfte, mosambikanischer Armee, privaten Sicherheitskräften und ausländischen Soldaten – steht die lokale Bevölkerung. Sie sieht sich nicht nur mit den sozialen und ökonomischen Folgen, sondern auch mit einer permanenten militärischen Bedrohung konfrontiert, ohne selbst geschützt zu werden.
Viele Aktivist*innen sehen die Militarisierung in der Provinz zwar kritisch, erkennen die Notwendigkeit der militärischen Präsenz aber durchaus an. Denn nach einer Phase, in der die Dschihadisten sich auf dem Rückzug befanden, ist der Konflikt vor Ort erneut eskaliert. Dies lässt erhebliche Zweifel aufkommen an der Fähigkeit der Regierung, die Situation unter Kontrolle zu bekommen und den Frieden in Cabo Delgado wiederherzustellen.
Gleichzeitig betonen viele Kommentator*innen, dass ein einseitiger Fokus auf Sicherheit nicht weiterhilft, sondern nur eine Kombination von Sicherheit, humanitärer Hilfe und Armutsbekämpfung geeignet ist, den Konflikt zu beruhigen. Der Analyst Borges Nhamirre kritisiert, dass die mosambikanische Regierung Armut, Arbeitslosigkeit und soziale Ungleichheit bislang nicht als Konflikttreiber anerkennt. Er fordert die Regierung zu einem Umdenken auf, das die Eröffnung eines Dialogangebots an die verschiedenen Konfliktparteien einschließt. Denn auch wenn der Ausgang eines solchen Dialogangebots völlig offen ist: Fest steht, dass weitere Militarisierung die Gewalt nicht beenden wird.
Dieser Text erschien zuerst in «nd.aktuell» im Rahmen einer Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung.