UTOPIE kreativ, H. 115/116
(Mai/Juni 2000),
S. 522-524Zwangsarbeit im NS-Regime zählte bis Mitte der achtziger Jahre in der alten Bundesrepublik zu den verdrängten Themen. Erst die Arbeit »Fremdarbeiter« von Ulrich Herbert 1985 1 brachte diese Form der NS-Verbrechen in die Debatte. In der DDR konnte man zu dieser Zeit den Eindruck gewinnen, daß das Thema ausgespart bleibe. Das stimmte jedoch keineswegs. Nur lagen die Arbeiten von Klaus Drobisch,2 Eva Seeber3 und anderen schon Jahre, zum Teil Jahrzehnte zurück. Und: In der Geschichtsvermittlung, vor allem in den Schulen, verschwanden die Zwangsarbeiter hinter dem antifaschistischen Widerstand, insonderheit hinter dem kommunistischen.
Das war nicht der einzige Fall, wo geschichtswissenschaftliche Resultate nur ungenügend den Weg in das historische Gedächtnis der Gesellschaft fanden. Nur, wer von den konkreten Verhältnissen in der DDR abstrahiert, kann den Historikern vorwerfen, sie hätten sich nicht für die Verbreitung ihrer Erkenntnisse eingesetzt. Darüber, was die Geschichtspropaganda transportierte, entschieden letztlich die Politiker. Und die ordneten ihre Entscheidung politischen Kriterien unter. Die Grundeinstellung, mit der führende Politiker an dieses Problem herangingen, wurde schon sehr früh deutlich: »Opfer des Faschismus sind Millionen Menschen, und alle diejenigen, die ihr Heim, ihre Wohnung, ihren Besitz verloren haben. Opfer des Faschismus sind die Männer, die Soldat werden mußten und in den Bataillonen Hitlers eingesetzt wurden, sind alle, die für Hitlers verbrecherischen Krieg ihr Leben geben mußten. Opfer des Faschismus sind Juden, die als Opfer des faschistischen Rassenwahns verfolgt und ermordet wurden, sind die Bibelforscher und die ›Arbeitsvertragssünder‹. Aber soweit können wir den Begriff ›Opfer des Faschismus‹ nicht ziehen. Sie haben alle geduldet und Schweres erlitten, aber sie haben nicht gekämpft.«4
Natürlich stieß diese im KPD-Zentralorgan »Deutsche Volkszeitung« vom 3. Juli 1945 publizierte Argumentation auf den Widerstand nicht zuletzt der rassisch Verfolgten und mußte deshalb abgemildert werden – durch eine Erweiterung der Opfergruppe bei gleichzeitiger Hierarchisierung der Verfolgten des NS-Regimes in »Kämpfer« und »Opfer«. Diese Einteilung bestand bis zum Ende der DDR. Im offiziellen Gedenken an die Opfer des Faschismus kamen die Zwangsarbeiter nur selten vor.5
Auch an den Orten ihre Martyrien wurde ihrer nur selten gedacht. Ein regelrechter Mantel des Schweigens wurde über die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus der Sowjetunion und, mehr noch, über die Rotarmisten gelegt, die in Gefangenschaft gefallen und dort oft »durch Arbeit vernichtet« worden waren. Sie galten in der Sowjetunion als Verräter, auch noch nach dem Krieg.6 In Sachsen-Anhalt zum Beispiel, wo ein dichtes Netz mit Lagern existierte, fand sich zu DDR-Zeiten lediglich ein Gedenkstein für einen in Gefangenschaft ermordeten Rotarmisten.7
In vielen ostdeutschen Städten stehen Denkmale für gefallene Rotarmisten, auch dort, wo nie ein Rotarmist kämpfte – zum Beispiel in Gera, Greiz, Erfurt. In Eisenhüttenstadt steht ein 17 Meter hohes Monument. Darunter sind die sterblichen Überreste von etwa 1 800 sowjetischen Kriegsgefangenen aus dem Stalag III B bestattet, die bei der Zwangsarbeit für die Degussa Fürstenberg zu Tode geschunden worden waren. Von ihrem Friedhof, den die Rote Armee über ihren Massengräbern 1946/47 hatte errichten lassen, mußten die Toten 1951 weichen, weil seit 1950 auf diesem Gelände das Eisenhüttenkombinat Ost errichtet wurde. Auf Anweisung der Sowjetischen Kontrollkommission Brandenburg trägt das Monument die Inschrift »Wetschnaja slawa gerojam, pawschim w borbe sa swobodu i nesawisimost naschej rodinu« (»Ewiger Ruhm den Helden, die im Kampf für die Freiheit und Unabhängigkeit unserer Heimat gefallen sind«).8
Nach dem Anschluß der DDR verlagerte sich die öffentliche Debatte über den NS-Faschismus in der Bundesrepublik kurzzeitig hin zu quasi sensationellen Enthüllungen über »Rote Kapos« im KZ Buchenwald etc., um auf Druck aus dem Ausland wieder zu den Zwangsarbeitern und zu ihrer seit Jahrzehnten überfälligen Entschädigung durch jene deutsche Firmen zu gelangen, die nicht nur die deutsche Kriegsmaschinerie am Laufen gehalten, sondern durch die Ausbeutung von Zwangsarbeitern enorme Zusatzprofite eingestrichen hatten. Hinter beiden Debatten weitgehend verdeckt geblieben ist, daß seit der Wende verschiedene regionalhistorische und heimatgeschichtliche Schriften über Opfer des Faschismus entstanden sind. Im folgenden seien nur einige Beispiele benannt.
Die Perestrojka machte es auch in der Sowjetunion möglich, die bis dahin weithin beschwiegene Zwangsarbeiter-Problematik öffentlich zu diskutieren. Die Archivarin des VEB Chemiewerkes Coswig (Anhalt), Rosemarie Kanopka, fand 1987 auf eigene Initiative in Wladimir Lipski und Bogdan Tschaly aus der Sowjetunion Partner für ein außergewöhnliches Projekt: Sie stellte Listen mit den Namen sowjetischer Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus dem Vorgängerbetrieb Westfälisch-Anhaltinische-Spreng stoff-Aktiengesellschaft (WASAG) zusammen, die die Kollegen in der Sowjetunion veröffentlichten. 14 Überlebende meldeten sich, 1989 erschien das Buch mit Interviews und Fotos in Minsk. Die deutsche Ausgabe im Militärverlag fiel der Wende zum Opfer. Doch die betreuende Lektorin gründete einen eigenen Verlag, in dem das Buch dann 1995 doch noch erscheinen konnte.9
Ein ähnliches Projekt realisierte 1996 die Berliner Historikerin Martina Dietrich – unter anderem mit ungarischen Jüdinnen, die 1944 zur Zwangsarbeit bei Daimler-Benz in Genshagen bei Berlin verschleppt worden waren. Unter den Zwangsarbeitern in diesem Lager befanden sich aber auch SS-Leute, die wegen krimineller Vergehen bestraft worden waren. Das Interview mit einem dieser ehemaligen SS-Männer zählt zu den beklemmenden Resultaten solcher Forschungen. Unterstützung fand die Autorin bei der Landeszentrale für Politische Bildung Brandenburg und dem Vorstand der Daimler-Benz AG.10
So viel Glück hatte Lothar Czoßek aus Rehmsdorf bei Zeitz nicht, auch wenn die Leitung des ehemaligen Hydrierwerkes Zeitz sich an den Druckkosten beteiligte. Die meisten Kosten übernahm Lothar Czoßek selbst. Er hatte als Jugendlicher 1944 die Entstehung des Außenlagers des KZ Buchenwald am Rande seines Heimatortes und im Frühjahr 1945 die Exhumierung der Leichen zu Tode geschundener Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge erlebt.11
Martin Pabst, Pfarrer im Ruhestand aus Cuxhaven, besuchte nach der Wende seine Heimat bei Merseburg. Pabst hatte noch Erinnerungen an die Zwangsarbeiter in dieser Region während des Krieges, aber auch an das »Arbeitserziehungslager« Spergau und – ab 1944 sein Nachfolger – an das »Arbeitserziehungslager« Zöschen, wo Zwangsarbeiter, aber auch deutsche Bürger, wegen geringster Arbeitsvergehen der »Vernichtung durch Arbeit« preisgegeben wurden. Martin Pabst hat unterdessen eine ganze Reihe von Publikationen zu diesen Themen, daruner zu Holländern, vorgelegt.12 Einem holländischen Einzelschicksal geht der Vorsitzende der VVN/BdA Bremen, Reimund Gaebelein, nach.13
Mit Mitteln des Bundeskanzleramtes legten 1999 die Vereine »Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V., Bonn« und der »Förderverein für Memorial/St. Petersburg e.V., Berlin« sehr berührende Erinnerungen sowjetischer Zwangsarbeiterinnen vor. Am bedrückendsten ist jedoch ein Beitrag über die Situation von ehemaligen ZwangsarbeiterInnen und KZ-Häftlingen in Osteuropa, der mit Blick auf die – ohnehin lächerlich geringen – Entschädigungen mit der Feststellung schließt: »Wenn wir uns noch lange um Modalitäten streiten, wird es für die Menschen in Osteuropa zu spät sein.«14 Manchmal kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß das der Sinn der von nicht wenigen deutschen Politikern und Unternehmen verwendeten Taktik ist.
»Nicht zuletzt aber … animierte das wissenschaftliche Interesse wie die politische Neugier, warum die Problematik ›Antifaschisten in der Dirlewanger-Division‹ von der DDR-Geschichtswissenschaft, für die doch der kommunistische Widerstand eines der Leib- und Magenthemen war, unterbelichtet blieb, wenn nicht gar verschwiegen oder wie ein ›heißes Eisen‹ gehandelt wurde.«15 So motiviert die Leipziger Historikerin Jutta Seidel, bekannt durch wichtige Arbeiten zur Sozialdemokratie vor 1914, unter anderem ihre Entscheidung, sich mit Männern zu beschäftigen, denen die SS als KZ-Häftlinge die SS-Uniform anbot und die darauf eingingen, in der Hoffnung, zur Roten Armee überlaufen zu können. Nach dem Krieg hatte sie in Leipzig Überlebende aus dieser Gruppe kennen und schätzen gelernt. Jutta Seidel war mit Sicherheit nicht die einzige; aber sie ist diejenige, die den Mut hat, sich mit diesem Kapitel kommunistischer Geschichte seriös zu beschäftigen.
Die Liste der Arbeiten ließe sich fortsetzen – vielleicht in einer studentischen Jahresarbeit an einer deutschen Universität
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Jörn Schütrumpf – Jg. 1956, Historiker, Mitarbeiter bei »UTOPIE kreativ«
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1 Ulrich Herbert: Fremdarbeiter. Politik und Praxis des »Ausländer-Einsatzes« in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches, Bonn/Berlin 1985 2 U.a. Klaus Drobisch: Die Ausbeutung ausländischer Arbeitskräfte im Flick-Konzern während des zweiten Weltkriegs, Phil. Diss. Berlin 1964 3 Eva Seeber: Zwangsarbeiter in der faschistischen Kriegswirtschaft. Die Deportation und Ausbeutung polnischer Bürger unter besonderer Berücksichtigung der Lage der Arbeiter aus dem sogenannten Generalgouvernement (1939-1945), Berlin 1964 4 Deutsche Volkszeitung, 3. Juli 1945 5 Der Opfer des Jugend-KZ’ »Uckermark«, aber auch anderer Gruppen, wurde überhaupt nie gedacht. 6 Ein Befehl Stalins vom 11. Mai 1945 lautete: »Die Kriegsräte haben in den rückwärtigen Gebieten zur Unterbringung und zum Unterhalt ehemaliger Kriegsgefangener und zu repatriierender sowjetischer Bürger Lager für je 10.000 Personen einzurichten … Die Kontrolle in den zu errichtenden Lagern für ehemalige sowjetische Kriegsgefangene und befreite Bürger ist zu übertragen: für ehemalige Armeeangehörige – den Organen des Abwehrdienstes ›Smersch‹ (Tod den Spionen); für Zivilpersonen – den Überprüfungskommissionen des NKWD, des NKGB und der ›Smersch‹ unter dem Vorsitz des Vertreters des NKWD.« Zitiert nach Dmitri Wolkogonow: Triumph und Tragödie. Politisches Porträt des J.W. Stalin, Band 2/1, Berlin 1990, S. 351. Zehntausende Überlebende verschwanden anschließend bis zu Stalins Tod in sowjetischen Lagern 7 Denkmale in Sachsen-Anhalt. Ihre Erhaltung und Pflege in den Bezirken Halle und Magdeburg, Weimar 1986, S. 88 8 Jörn Schütrumpf: »Wo einst nur Sand und Kiefern waren …« »Vergangenheitsbewältigung« im Eisenhüttenkombinat Ost, in: Rosmarie Beier: Aufbau West Aufbau Ost. Die Planstädte Wolfsburg und Eisenhüttenstadt in der Nachkriegszeit, Berlin 1997, S. 141f 9 Wladimir Lipski, Bogdan Tschaly: Mädchen, wo seid ihr?. Vierzehn ehemalige Zwangsarbeiter erinnern sich, Irmtraud Carl Verlag Zeuthen 1995 10 Martina Dietrich: Zwangsarbeit in Genshagen. Dokumentierte Erinnerungen Betroffener, Potsdam 1996 11 Lothar Czoßek: Vernichtung. Auftrag und Vollendung. Dokumentation über die Geschichte des Außenkommandos »Wille« des KZ Buchenwald in Gleina, Tröglitz und Rehmsdorf, o.O. 1997 12 Martin Pabst: Das Arbeitserziehungslager Spergau bei Merseburg, Hg. Geschichtsstammtisch Leuna, Merseburg 1996; ders.: »Auch vor außergewöhnlichen Maßnahmen ist nicht zurückzuschrecken.« Die Fremdarbeiter im Kreise Merseburg während des II. Weltkrieges, Halle/S. 1997; ders.: Der Tod ist ein täglicher Gast. Holländische Geiseln und Widerstandskämpfer 1944/1945 in den Arbeitserziehungslagern Zöschen, Schafstädt und Ammendorf/Osendorf, Verlag Doris Mandel Halle/Saale 1998 13 Reimund Gaebelein: Mantel des Schweigens. Warum mußte Homme Hoekstra sterben?, Selbstverlag Bremen 1999 14 Sabine Gerhardus: Der Wettlauf mit der Zeit. Ein Bericht über die Situation von ehemaligen ZwangsarbeiterInnen und KZ-Häftlingen in Osteuropa, in: »Es ist schwer, Worte zu finden«. Lebenswege ehemaliger Zwangsarbeiterinnen, o.O. 1999, S. 68 15 Jutta Seidel: Das große Dilemma. Leipziger Antifaschisten in der SS-Sturmbrigade »Dirlewanger«, Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen Leipzig 1999, S. 6 |